Totentaenze
mal eine Genugtuung zu erfahren, dass ich mit meiner Einschätzung von diesem Proleten genau richtig gelegen habe.
Am liebsten würde ich sofort in Linas Zimmer stürmen und ihm das Handy vor die Füße werfen, aber das wäre wahrscheinlich nicht sonderlich klug. Er würde sich bestimmt irgendwie rausreden. Darin ist er groß. Aber das Schlimmste an der ganzen Sache ist, dass Linas Herz brechen würde. Meine große Schwester liebt diesen Idioten leider wirklich über alles.
Trotzdem muss ich was tun. Ich will nicht, dass Nils meine Schwester noch länger so hintergeht. Ich brauche Beweise. Handfeste Beweise.
Es gibt nur eine Möglichkeit. Ich muss die zwei erwischen und dabei fotografieren. Dann wird Lina mir glauben und mich zum Dank dafür hassen. Aber ich kann doch nicht zulassen, dass dieser Typ sie dermaßen verarscht und sie so zum Narren hält. Aber jetzt bringe ich erst mal Nils’ Handy zurück und tue so, als wäre nichts.
Hier springt der Film in meinem Kopf und ich sehe als Nächstes, wie ich in Papas Auto sitze und zum Steinsee fahre. Ich spüre, wie mir der Angstschweiß kalt den Rücken runterströmt, obwohl ich versuche, so langsam wie möglich zu fahren. Zum Glück ist der Weg zum Steinsee nicht weit und führt einen holprigen Waldweg lang, wo um diese Uhrzeit niemand mehr rumläuft. Die Wahrscheinlichkeit, jemanden totzufahren, geht also gegen null. Das jedenfalls murmle ich immer wieder vor mich hin.
Ich mache das nur wegen Lina … Nein, gar nicht wahr, ich finde es irgendwie cool, dass ich mich trotz meiner Riesenangst getraut habe, das Auto zu nehmen. Aber das Allerbeste daran ist, dass ich das Autofahren Nils zu verdanken habe, denn er wollte die ganze Zeit, dass ich mir von ihm zeigen lasse, wie es geht. Wahrscheinlich, um damit Lina zu imponieren.
Ich stelle das Auto ein Stück vom See entfernt ab und schleiche mich an den Bäumen entlang zu dem Parkplatz, auf dem tatsächlich Nils’ Auto steht. In mir steigt wieder diese unbändige Wut auf. Dieses miese Schwein!
Im Mondlicht sieht alles ganz romantisch aus. Der See, der nur als Gerümpel- und Müll-Abladeplatz dient, der klapprige alte Golf von Nils. Alles liegt im silberweißen Mondlicht da, wie in einem alten Gemälde. Nils und diese Nessie hocken auf der Motorhaube, mit Blick auf den See und knutschen.
Ich bin schon so nah, dass ich das gierige Schmatzen ihrer Lippen hören kann. Das macht mich dermaßen wütend, dass ich mich zu hastig bewege und nicht darauf achte, wo ich hintrete. Es knackst laut.
Nessie richtet sich auf und dreht sich zu mir um.
Ich drücke mein Gesicht an einen Baumstamm und hoffe, dass meine schwarzen Klamotten mich ausreichend tarnen. Doch dieser kurze Moment hat gereicht, um zu erkennen, wer Nessie wirklich ist, und das macht mich noch wütender.
Jemand rüttelt unsanft an meinem Arm.
»Hey, Luis, mach hier nicht den toten Mann, rede mit uns.«
Meine Schwester.
»Ich dachte, ihr wärt gegangen!«
Nils thront immer noch am Bettende und ich frage mich, ob er weiß, was ich da gerade gesehen habe. Ob er weiß, was ich über ihn weiß. Auf sein Gesicht schleicht sich sein selbstgefälliges Grinsen und er streichelt meiner Schwester über den Arm.
Und da passiert es. Ich kann es nicht mehr zurückhalten. »Lina, weißt du eigentlich, was für ein mieses, mieses Schwein dein Freund ist?«
Sie zuckt zusammen, als hätte ich ihr eine Ohrfeige gegeben. Sogar ihre Wangen werden knallrot. »Luis, sag mal, spinnst du oder was?« Hektisch dreht sie sich zu Nils. »Er meint das nicht so …« Unsicher schaut sie kurz zu mir, dann wieder zu ihm. »Sein Hirn …«
Nils grinst, als würde er verstehen.
»Doch, der meint das genau so.« Ich versuche, meine Stimme fest und klar klingen zu lassen. »Du hast dich sicher gefragt, warum ich das Auto genommen habe. Ich wollte Nils hinterherspionieren und ich habe es auch geschafft, nur war ich nach allem, was ich gesehen habe, dann beim Rückweg so durch den Wind, dass ich ein Reh übersehen habe, und beim Ausweichen bin ich dann wohl am Baum gelandet.«
Lina wird so blass, dass die roten Kreise auf ihren Wangen wie aufgemalt aussehen. »Was sagst du da? Du hast was … du bist wegen mir …?«
»Dein kleiner Bruder will sich doch nur wichtig machen. Diesen Scheiß brauche ich mir nicht länger anzuhören.« Nils wendet sich zur Tür.
»Warte!«, ruft Lina, die völlig verstört wirkt. »Wenn nichts dran ist an dem, was Luis da sagt, können wir es uns doch genauso
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