Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
sein Akzent war nicht minder schauderhaft. Auch er hatte sein Englisch aus amerikanischen Lehrbüchern. Siri war voll der Bewunderung für seine begabte Assistentin.
Im Lauf des Vormittags erzählten sich die beiden alten Männer, wie es ihnen seit ihrer letzten Begegnung ergangen war. Die Verwaltung der kubanischen Hilfsgelder sei derart arbeitsintensiv, erklärte Santiago, dass ihm für seine eigentliche Tätigkeit kaum noch Zeit bleibe. Und obgleich immer mehr Bauern auf den Feldern in die Luft gesprengt wurden, gab es immer weniger Personal, das sie behandeln konnte. Da es im ganzen Land keine hundert qualifizierten Mediziner gab, mussten die PL-Doktoren doppelte Arbeit leisten, um den Verlust der royalistischen Ärzte wettzumachen, die sich beizeiten nach Thailand abgesetzt hatten.
Mit Dtuis Hilfe, deren Selbstvertrauen von Minute zu Minute wuchs, kam Siri schließlich auf das Rätsel seiner Zementleiche zu sprechen. Der Kubaner sann einen Augenblick darüber nach und fragte dann, ob er sicher sei, dass sich der Vorfall Anfang des Jahres ereignet habe.
»Am 21. Januar, um genau zu sein«, sagte Siri.
»Dr. Santiago sagt, wenn es ein paar Monate früher
geschehen wäre, hätte er uns mit zwei aussichtsreichen Kandidaten dienen können«, übersetzte Dtui. »Falls ich ihn richtig verstanden habe. Aber die beiden sind seines Wissens schon vergangenen Oktober nach Kuba zurückgekehrt.«
»War ihr Einsatz hier beendet?«
»Nicht direkt. Er sagt, die Sache liege ein wenig komplizierter. Die beiden seien 1971 wegen irgendeines Projekts bei Kilometer 8 hierhergekommen.«
»Xieng Muang«, sagte Siri. »Das ist das Lazarett. Ein kleines Wunderwerk. Sie höhlten zwei Berge aus und bauten zwei komplette Krankenstationen, die aus der Luft nicht zu sehen waren, aber tausend Patienten aufnehmen konnten. Eine beeindruckende Ingenieurleistung. Das vietnamesische Militär lieferte die Arbeitskräfte; die Kubaner stellten Schwestern und Pfleger zur Verfügung.«
»Er meint, Sie erinnern sich vielleicht noch an die beiden. Sie hießen Isandro und Udon.«
»Odon«, verbesserte Santiago.
»Pardon, Odon. Er sagt, sie waren von Anfang an dabei.«
Siri nickte. Zwar war er nur hin und wieder nach Xieng Muang beordert worden, um als Chirurg auszuhelfen, und hatte dazu stets sein laotisches OP-Team mitgenommen, erinnerte sich jedoch durchaus an die schwarzen Krankenpfleger auf der Station. Auch wenn er mit ihnen nie auch nur ein Wort gewechselt hatte.
»Während der Bauarbeiten«, übersetzte Dtui weiter, »wurden die Verwundeten hier und da in provisorischen Höhlen verarztet. Isandro und Odon taten dort als Chefkrankenpfleger Dienst. Als das Lazarett bei Kilometer 8 schließlich fertig war, wurden sämtliche Patienten dorthin
verlegt. Nachdem die beiden ihre vier Jahre hinter sich hatten, meldeten sie sich freiwillig zu einem zweiten Einsatz. Das war anscheinend ziemlich ungewöhnlich. Die meisten Kubaner wollten so schnell wie möglich zurück nach Hause. Aber die beiden waren fleißig und hatten sich mit den Einheimischen angefreundet. Sie hatten Laotisch gelernt und sogar Geschmack an der hiesigen Küche gefunden«, sagte sie und setzte vorsichtshalber hinzu: »Auch wenn ich dafür nicht die Hand ins Feuer legen würde.«
Siri ignorierte ihren Warnhinweis. »Und warum wurden sie dann vorzeitig nach Hause geschickt?«, fragte er.
Es dauerte eine Weile, bis sich Dtui und der alte Kubaner einig waren.
»Wie es scheint«, sagte Dtui, »gab es Beschwerden.«
»Von wem?«
»Ein ranghoher Offizier der vietnamesischen Armee behauptete, einer der beiden, Isandro, habe seiner Tochter Avancen gemacht. Er nahm kein Blatt vor den Mund: Wenn er den Mann noch einmal in ihrer Nähe erwische, werde er ihn erschießen.«
»Und das hat Dr. Santiago ihnen mitgeteilt?«
»Ja. Aber die beiden setzten sich einfach über ihn hinweg. Sie sagten, sie hätten keine Angst, weder vor ihm noch vor dem Oberst. Er konnte es nicht fassen. Die Lage spitzte sich zu. Und da der Doktor nicht die Absicht hatte, seine Leute von einem wild gewordenen Vietnamesen abknallen zu lassen, nur weil sie mit seiner Tochter geschäkert hatten, blieb ihm nichts anders übrig, als sie nach Hause zu schicken.«
»Und er ist hundertprozentig sicher, dass sie diesem Befehl gefolgt sind?«
»Hundertprozentig.«
»Und es gibt nicht zufällig ein anderes kubanisches Projekt, das dunkelhäutige Kubaner als vermisst gemeldet hat?«
»Er sagt, es war das einzige
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