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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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Hmong-Piloten. Es war eine symbolische Geste, weiter nichts. Sämtliche Zivilisten waren längst geflohen, als sie die Stadt dem Erdboden gleichmachten.
    Inzwischen entstand an ihrer Stelle eine neue Stadt mit protzigen Boulevards so breit wie die Champs-Élysées, die allem Anschein nach zu einer kommunistischen Vorzeigemetropole herausgeputzt werden sollte. Das Krankenhaus war nichts weiter als eine provisorische Ansammlung weiß getünchter Baracken, und das Personal harrte bereits sehnsüchtig des Umzugs in ein komfortableres Domizil. Die Verwaltung befand sich im selben Gebäude wie die Aufnahme, und Siri und Dtui fanden Dr. Santiago
umringt von einem mächtigen Gebirgsmassiv aus Büchern und Aktenordnern. Er war etwa so alt wie Siri, ein dürres Männlein mit wirrer Albert-Einstein-Frisur. Seine Brille hatte bullaugengroße Gläser und war so dick wie der Boden einer Thai-Rum-Flasche. In dem Aschenbecher neben ihm lag eine qualmende Zigarette, und der Rauch umwölkte seinen hageren Schädel. Er war es offenbar gewohnt, dass man in seinem Büro ein und aus ging, denn er blickte nicht von seiner Arbeit auf, als die beiden Besucher hereinkamen.
    »Dr. Santiago?«, sagte Siri, als er ihn hinter den Bergen von Papier erspähte.
    » Da? « Der alte Kubaner brütete noch immer über seinen Listen. Dass er Russisch sprach, wunderte Siri nicht. Obwohl Dr. Santiago schon seit fast zehn Jahren als Leiter der medizinischen Entwicklungshilfe in Houaphan tätig war, weigerte er sich beharrlich, Laotisch oder Vietnamesisch zu lernen. Er sprach fließend Spanisch, Englisch und Russisch und verspürte nicht die geringste Lust, in seinem vorgerückten Alter noch eine weitere Fremdsprache zu lernen. Er hatte schließlich nicht darum gebeten, nach Laos versetzt zu werden und sich mit den Vietnamesen herumschlagen zu müssen, die er auf den Tod nicht ausstehen konnte. Jedenfalls dachte er nicht im Traum daran, kulturelle Gräben zu überwinden. Er war der Experte, also lag die kommunikative Bringschuld bei den anderen. Alles in allem war er wie Siri ein ebenso sturer wie charmanter alter Kauz.
    » Dosvidanje «, sagte Siri. Es war das einzige russische Wort, das er kannte, auch wenn er nicht recht wusste, was es zu bedeuten hatte.
    Endlich blickte Santiago auf und blinzelte durch seine
Brille. Es dauerte ein paar Sekunden, bis er seine Gedanken geordnet und seinen alten Freund wiedererkannt hatte. »Das ist doch nicht etwa … Dr. Siri?«, fragte er auf Englisch. Er sprang von seinem Stuhl und lief um den Schreibtisch, um den hochverehrten Kollegen zu umarmen. Grinsend und lachend fielen sie einander in die Arme, aber Dtui bemerkte rasch, dass sie sich nicht verständigen konnten. Siri hatte ihr erzählt, dass er und Dr. Santiago mit Unterbrechungen fünf Jahre zusammengearbeitet hatten, obwohl sie über keine gemeinsame Sprache verfügten. Zwar sprach Siri einigermaßen fließend Vietnamesisch und Französisch, aber auch er hatte sein Sprachpensum erfüllt. Wenn gerade kein Englisch-Laotisch-Dolmetscher zur Stelle war, hatten die beiden sich darauf beschränkt, die chirurgischen Fähigkeiten des jeweils anderen zu bestaunen und mittels Skizzen oder Gebärden kommuniziert. Sie hatten sich trotz aller Hindernisse so prächtig verstanden, dass Siri sich manchmal fragte, ob eine gemeinsame Sprache ihrer Beziehung nicht womöglich geschadet hätte.
    Siri löste sich aus Santiagos Umarmung und deutete auf seine Assistentin. »Schwester Dtui«, sagte er.
    »Hallo, Dr. Santiago. Freut mich sehr«, sagte sie auf Englisch.
    Siri und Santiago starrten Dtui ein paar Sekunden verdutzt an, dann schloss der Kubaner auch sie in die Arme. Es war eine für Laoten ganz und gar deplacierte Geste, die dem Geist des Augenblicks jedoch mehr als angemessen schien. Er lobte ihr vorzügliches Englisch.
    »Ich kann es zwar lesen und schreiben«, sagte sie, »aber mit dem Sprechen hapert es noch.« Es stimmte. Sie hatte noch kein einziges Wort Englisch geredet. Die Sprache
diente ihr allein zu Studienzwecken. Dtui war selbst ein wenig überrascht, als die Worte so aus ihr herausgesprudelt kamen.
    Er versicherte ihr, es sei in jedem Fall dieselbe Sprache, ganz gleich, ob man sie spreche oder schreibe. Und obwohl sie es nur unzureichend beherrschte, war das Englische von nun an ihre Kommunikationssprache und Dtui ihre frischgebackene Dolmetscherin. Sie wusste, dass ihre Aussprache sehr zu wünschen übrig ließ, was Santiago jedoch nicht weiter störte, denn

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