Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
entschlossen, zu Fuß nach Vientiane zurückzukehren. Zwar
wusste er, dass es ein weiter Weg war, doch dass die Entfernung dreihundert Straßenkilometer betrug, wusste er nicht. Er hatte weder genügend Geld für eine Busfahrkarte in der Tasche noch auch nur die geringste Ahnung, wie sonst er sein Versprechen halten und ins Leichenschauhaus gelangen sollte. Und so schlenderte er, als die Soldaten eine Pinkelpause einlegten, unauffällig zum Ende des Konvois und starrte die Straße entlang, die sich durch die Berge schlängelte. Er holte tief Luft, genau wie der Doktor es ihm beigebracht hatte, und machte sich dann auf den Heimweg. Niemand bemerkte sein Verschwinden.
Schon nach fünf Minuten befand er sich allein auf der verlassenen Straße. Herr Geung war alles andere als ein Einzelkämpfer. Er brauchte die Gesellschaft und den Zuspruch anderer. Wenn man ihm sagte, was er zu tun hatte, war er unschlagbar, doch es fehlte ihm an Tatkraft und Unternehmungsgeist. Die Armeetransporter waren kaum verschwunden, als ihm dämmerte, dass er sich unmöglich allein auf diese weite Reise begeben konnte. Er brauchte einen Freund. Einen klugen Freund und Begleiter. Und als er den Kopf wandte, stand mit einem Mal, wie durch ein Wunder, Dtui hinter ihm. Ihm fiel ein Stein vom Herzen. Sie war die vernünftigste Frau, die er kannte, und würde ihn bestimmt sicher heim geleiten.
»T… tut mir leid, kleine Schw… Schwester«, sagte er grinsend.
Lachend nahm sie seine Hand, und gemeinsam marschierten sie die mit Schlaglöchern übersäte Straße entlang. Nach einer Weile gab sie zu bedenken, dass die Sonne direkt über ihnen stand und sie keine Kopfbedeckung hatten. Und so beschlossen sie, im Schatten der seltsamen Bäume am Straßenrand weiterzugehen. Ihre Gegenwart
gab ihm Selbstvertrauen. Er erzählte ihr sämtliche Witze, die sie im Laufe des vergangenen Jahres gemacht hatte. Sie lobte ihn für sein ausgezeichnetes Gedächtnis. Er wusste nicht, was er ohne Dtui und ihren gesunden Menschenverstand angefangen hätte.
Das Bild von Herrn Geung stand Dtui so deutlich vor Augen, als sei er bei ihr im Zimmer. Sie öffnete die Lider und blickte um sich. Da es in der kleinen Kammer keinen Schrank gab, hingen ihre Kleider wie erschlaffte Sargträger von den vier Pfosten ihres Bettes. Wenn sie die Augen zusammenkniff, sah das löchrige Moskitonetz aus wie ein märchenhafter Sternenhimmel, was die mystische Aura von Gästehaus Nr. 1 noch verstärkte. In der Ferne spielte der klui -Pfeifer immer wieder dieselbe traurige Melodie, und schon jetzt, am späten Nachmittag, wallte weißer Nebel gegen die Fensterscheibe. Ihr wurde klar, dass sie eingedöst war und von ihrem Freund geträumt hatte, trotzdem befiel sie bei dem Gedanken an Herrn Geung ein mulmiges Gefühl.
Sie wusste, dass das Gebäude bis auf die geheimnisvollen Gäste am anderen Ende des Hauses und das Personal, das im leeren Speisesaal herumhockte, verlassen war. Siri saß wahrscheinlich unten auf der Veranda und schilderte dem engstirnigen Sicherheitschef ihren Besuch bei Dr. Santiago. Der Mann war ein einziger Reinfall gewesen. Bis zu seiner wundersamen Verwandlung in einen durchgedrehten Kommunistennazi hatte Dtui ihn sogar als potenziellen Ehekandidaten in Betracht gezogen. Sein kühles Lächeln und sein schlanker, durchtrainierter Körper kamen ihren bescheidenen Ansprüchen recht nahe. Bedauerlicherweise hegte sie die feste Überzeugung, dass
ihr Auserwählter einen eigenen Kopf besitzen müsse, und damit konnte Lit leider nicht dienen. Nachdem sie ihn von ihrer Liste gestrichen hatte, hielt sie es für das Beste, die abendliche Lagebesprechung ausfallen zu lassen.
Doch da ihr Zimmer allerlei bizarre Gedanken und Gefühle in ihr wachrief, beschloss sie, das Weite zu suchen. Was sie vorhatte, würde etwa eine Stunde dauern. Zunächst wollte sie versuchen, mit Hilfe des einzigen Telefons im Haus nach Vientiane durchzukommen. Vor knapp vier Wochen waren zwei Männer in alten Armeeuniformen, auf die jemand mit Wäschetinte das Wort TELEFONGESELLSCHAFT geschrieben hatte, bei Siri aufgetaucht, um ein Telefon in seinem Bungalow zu installieren, noch so eine Belohnung für Siris selbstlosen Einsatz und seine Verdienste um die Partei und um die Sache. Wäre Dtuis kranke Mutter nicht gewesen, die der ständigen Betreuung bedurfte, hätte Siri den beiden Männern vermutlich erklärt, sie könnten sich ihr Telefon sonstwohin stecken. »Schon mal was von Privatsphäre gehört?«,
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