Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
kubanische Projekt in dieser Gegend.«
»Könnten Sie Dr. Santiago vielleicht bitten, mir Isandro zu beschreiben?«
Wieder steckten Dtui und der kubanische Arzt die Köpfe zusammen.
»Wenn ich richtig verstanden habe«, sagte Dtui, »war er ein Mann wie ein Baum – groß und breitschultrig wie ein amerikanischer Basketballspieler – und bärenstark.«
Siri zuckte die Achseln. Diese Beschreibung passte ganz und gar nicht zu seiner Betonleiche. Dtui erkundigte sich nach Odon.
»Das kommt schon eher hin«, sagte sie. »Odon war kleiner als Isandro. Dr. Santiago sagt, er war hässlich wie ein Ziegenbock, aber seinem Dauerlächeln konnte niemand widerstehen. Er sagt, es sei eher ungewöhnlich, dass die Eingeborenen – womit dann wohl auch Sie und ich gemeint sein dürften – mit dunkelhäutigen Ausländern verkehren, aber Odon und Isandro gaben sich alle Mühe, und die Leute gingen darauf ein. Dann sagte er noch etwas, das ich nicht ganz verstanden habe – ›die Einheimischen zum Narren halten‹ oder so, aber festlegen will ich mich da nicht.«
Siri hielt Odon für einen aussichtsreicheren Kandidaten als dessen groß gewachsenen Freund, aber da die beiden Laos angeblich längst verlassen hatten, schien er entweder anderswo suchen oder aber beweisen zu müssen, dass einer der Pfleger hiergeblieben war. Aus welchem Grund auch immer.
Obwohl in einer Ecke des Büros ein gigantischer Kühlschrank stand, enthielt er auf den zweiten Blick nichts weiter als unzählige Kulturproben. Eine faszinierende Sammlung, darin waren sich alle einig, aber kaum geeignet, ihren Heißhunger zu stillen. Und so ließ Dr. Santiago seinen Papierkram bereitwillig Papierkram sein und lud seine Gäste in das neue Lao Houng Hotel zum Mittagessen ein. Ihr unerwarteter Besuch schien ihm buchstäblich neues Leben eingehaucht zu haben. Auf dem Weg zum Ausgang kam ihnen eine Pflegerin entgegen, die zu jung schien, um bereits ihr Schwesterndiplom in der Tasche zu haben. Siri sah, wie der alte Mann ihre Hand nahm und ihr einen reichlich unprofessionellen Schmatz auf die Wange gab. Obwohl das Mädchen errötete, wich es nicht zurück, wie junge Laotinnen es gemeinhin taten, wenn sie einen ungebetenen Kuss bekamen. Wie es schien, brannte in Santiagos Brust noch immer das alte lateinamerikanische Feuer.
Sie saßen unter riesigen Plakaten mit den Konterfeis ihnen unbekannter chinesischer Filmstars, verzehrten fades vietnamesisches Essen und machten sich über das neue Oz von Vieng Xai lustig. Zum Nachtisch tranken sie warmes, leicht aromatisiertes Bier, und Santiago wandte sich Dtui zu. Er erkundigte sich, ob sie eine diplomierte Krankenschwester sei. Als sie bejahte, fragte er ihren »Papa Siri«, ob er wohl ein oder zwei Tage auf sie verzichten könne. Anscheinend hatte man das Lazarett bei Kilometer 8 aus dem Bergesinnern in ein paar alte Häuser aus der französischen Kolonialzeit vor dem Höhleneingang verlegt. Es war zwar immer noch ein Krankenhaus, doch die dortigen Pflegekräfte hatten lediglich eine sechsmonatige medizinische Grundausbildung absolviert. Dr. Santiago
erwartete noch vor Ende der Woche zwei kubanische Ärzte, aber bis dahin brauchte er jemanden, der die nötigen Entscheidungen fällen konnte. Zwar verbrachte der Doktor jede freie Minute dort, doch die Klinik bedurfte dringend einer ordnenden Hand.
Siri gab den Vorschlag an Dtui weiter. »Was meinen Sie?«
»Also, ich weiß nicht, ich bin doch nur eine kleine Krankenschwester.«
»Dtui, Sie sind weit mehr als eine kleine Krankenschwester. Detektiv spielen kann ich vermutlich auch allein – die Entscheidung liegt bei Ihnen. Für mich haben die Lebenden stets Vorrang vor den Toten. Aber wehe, Sie verraten das den Geistern.«
Sie fragte Santiago, ob sie sich darauf verlassen könne, dass die kubanischen Ärzte spätestens zum Wochenende da seien. Er gab ihr sein Ehrenwort. Sie erklärte sich bereit, ihm zu helfen, und übersetzte Siri ihren Entschluss.
»Sehr schön«, befand er. »Wenn ich Zeit habe, schaue ich vorbei und gehe Ihnen ein wenig zur Hand. Aber wie ich Sie kenne, haben Sie den Laden in null Komma nichts auf Vordermann gebracht. Und Dtui …?«
»Ja?«
»Ihnen ist hoffentlich klar, dass Sie es mit lebendigen Menschen zu tun haben. Nicht, dass Sie auf die Idee kommen, sie über Nacht in die Kühlkammer zu sperren.«
»Dr. Siri!«
»Pardon.«
Herr Geung war zum Laufen nicht gemacht. Er hatte Knickfüße und kurze Beine. Trotzdem war er fest
Weitere Kostenlose Bücher