Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
die eine und das Amulett in die andere Hand. Sofort bestürmte ihn eine wahre Flut fremder Bilder.
»Dtui, merken Sie sich alles, was ich sage«, rief er und schilderte ihr, was er sah. »Büsche, brusthoch. Ich falle. Tropfendes Wasser. Beton. Ringsum ist alles dunkel. Eine Tür, eine schwere, grüne Stahltür, die sich nicht bewegen lässt. Hände. Kleine weiße Hände. Meine eigenen, als würde ich auf sie hinunterblicken. Sie sind voller Blut.«
Und dann, als habe jemand die Leitung gekappt, sah er plötzlich nichts mehr. Er öffnete die Augen. Die alte Dame war verstummt. Er wusste, dass sie tot war. »Was habe ich gesagt?«, fragte er Dtui.
»Wissen Sie das denn nicht mehr?«
»Ich habe keinen Schimmer.«
Dtui gab seine Worte so getreu wie möglich wieder und übersetzte sie Santiago, der sich zu fragen schien, was er da gerade miterlebt hatte. Dtui wollte wissen, ob ihm Siris Schilderungen irgendwie bekannt vorkämen. Er zuckte die Achseln und entgegnete, Büsche und Wasser gebe es schließlich überall.
»Gut. Fangen wir mit den Büschen an.« Siri fackelte nicht lange und nahm die Sache in die Hand. »Gibt es unter
den Schwestern und Pflegern jemanden, der in dieser Gegend aufgewachsen ist?« Nach kurzer Beratung kamen sie auf Nang, eine nervöse Krankenschwester, die von Zeit zu Zeit immer noch in Ohnmacht fiel, wenn sie Blut sah. Sie war sichtlich erleichtert, endlich einmal nicht über Chirurgie sprechen zu müssen. Siri interessierte sich für Obst. Er hatte sie zwar nicht bei sich, konnte die Beere, auf die er in seinem Zimmer im Gästehaus getreten war, jedoch recht genau beschreiben. Die anderen sahen ratlos drein, während sie auf den Namen zu kommen versuchte.
»Sie meinen Affeneierpflaumen«, sagte das Mädchen schließlich.
»Und wo findet man die?«, fragte Siri.
»Überall, wenn man weiß, wo man suchen muss. Sie wachsen auf den Karsten. Da sie auf dem Markt einen guten Preis erzielen, sind sie bei den Dorfbewohnern heiß begehrt. Der eine oder andere ist beim Sammeln von Affeneierpflaumen schon auf eine Mine getreten und in die Luft geflogen.«
»Findet man sie auch in dieser Gegend?«
»Aber ja, zu bestimmten Jahreszeiten. Hier in den Bergen bei Kilometer 8 wachsen die Büsche überall.«
»Hätten Sie wohl die Güte, uns zu verraten, worum es geht, Doc?«, fragte Dtui.
»Hinweise«, antwortete Siri. »Wir dürfen keinen Hinweis außer Acht lassen. Wie zum Beispiel die grüne Tür. Fragen Sie Santiago doch noch mal, ob er sich an irgendwelche grünen Türen erinnert.«
Sie gehorchte und konnte förmlich zusehen, wie der Kubaner sämtliche Türen seines Lebens Revue passieren ließ. Schließlich fragte er, ob die Tür auch wirklich grün und nicht blau gewesen sei. Da Siri an seine Vision keinerlei
Erinnerung mehr hatte, konnte er die Farbe auch nicht bestätigen.
»Angenommen, sie wäre blau«, fragte Dtui. »Würde das denn eine große Rolle spielen?«
Durchaus, meinte Santiago. Die Bombenschutztüren im alten Lazarett seien aus schwerem Stahl, und sie seien blau.
»Und wo ist das alte Lazarett?«
Er zeigte aus dem Fenster, auf den schwarzen Umriss des Berges. Er hob sich gegen das dunkle Blau des Himmels ab und hockte da wie ein riesenhafter Rabe.
Sie übersetzte für Siri, der das Lazarett gut kannte. Nach dem Umzug in die neuen Gebäude waren die Höhlen versiegelt worden. Es führte kein Weg hinein. Die bombensicheren Türen waren fest verriegelt, um zu verhindern, dass neugierige Kinder aus der Mittelschule am Fuß des Hügels hineingelangten und sich darin verliefen. Plötzlich schien alles zusammenzupassen: die Beeren, die Türen, das Wasser und der Beton.
»Wer hat den Schlüssel?«, fragte er.
Santiago ging mit ihnen in die Verwaltung, schloss die Schreibtischschublade auf und kramte in einem Wust von Schlüsseln, bis er den zum Vorhängeschloss am Haupteingang des alten Lazaretts gefunden hatte. Aus dem Vorratsschrank holte er eine Machete und drei batteriebetriebene Stirnlampen; auf diese Weise hatten sie die Hände frei. Er ging voran, und sie folgten ihm den überwucherten Pfad entlang, der zum nächstgelegenen Eingang führte. Die gut zwanzig Zentimeter starke Tür war seit Jahren nicht geöffnet worden. Die drei mussten mit vereinten Kräften ziehen, um sie so weit zu bewegen, dass sie sich durch den schmalen Spalt zwängen konnten.
Als sie eintraten, schlug ihnen ein modriger Gestank entgegen. Unkraut verstopfte die Lüftungsschächte, und die Luft
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