Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
welche Richtung. Die Hügel sahen alle gleich aus. Und er hatte keinen Schimmer, welchen von ihnen er soeben überquert hatte. Es gab nichts, woran er sich hätte orientieren können. Die Bäume sahen alle gleich aus.
Aber all das war ein Klacks gegen Punkt drei. Denn trotz der eifrigen Bemühungen von allerlei hungrigen Dorfbewohnern, Drogenschmugglern und Pelz- oder Organhändlern wimmelte es in diesen Hügeln nach wie vor von wilden Tieren. Wären sie ihm über den Weg gelaufen, hätten die meisten vor Herrn Geung vermutlich größere Angst gehabt als er vor ihnen. Doch ein Tigerweibchen, das ihm seit dem Wasserfall nachstellte, hatte keine Angst. Sie musste ihre Jungen durchfüttern, und ihre Suche nach Beute war erfolglos geblieben. Der Mensch, den sie verfolgte, hatte reichlich saftiges Fleisch auf den Rippen und steuerte geradewegs auf ihr Versteck zu. Ganz so als ob sie ihn sich aufs Zimmer bestellt hätte und er nun an ihre Türe klopfen würde.
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MILLIONEN SPINNEN KÖNNEN NICHT IRREN
Siri kehrte ins Gästehaus Nr. 1 zurück. Santiago setzte ihn dort ab und überschüttete ihn wie üblich mit Worten, die Siri nicht verstand. Siri antwortete gleichermaßen unverständlich, und sie trennten sich mit einem freundschaftlichen Händedruck und schallendem Gelächter.
Bei Kilometer 8 hatte der Kubaner Dtui und dem Doktor zwingende Indizien dafür präsentiert, dass Isandro und Odon sich als Hobbymagier betätigt hatten. Die Beweislage war erdrückend. In zwei Fällen ließ sich beim besten Willen keine andere Erklärung finden. Der erste betraf eine Vietnamesin, die mit den vietnamesischen Ingenieuren nach Vieng Xai gekommen war. Sie kochte für sie und erledigte ihre Wäsche. Wie sich bald herausstellte, war sie eine unverbesserliche Rassistin. In ihren Augen standen Schwarze auf der Evolutionsleiter gerade einmal eine Sprosse höher als Primaten, und mit diesen Ansichten hielt sie nicht hinterm Berg. Immer, wenn sie den beiden Kubanern auf dem Krankenhausgelände begegnete, beschimpfte sie die Männer lauthals und mit stolzgeschwellter Brust als Affen. Da sie die beiden für zu dumm hielt, ihre Sprache zu verstehen, begleitete sie ihre Schmähungen mit eindeutigen Gesten.
Sie war eine wenig attraktive Frau von abscheulichem Charakter, doch einsame Männer in einem fremden Land haben die unselige Neigung, derlei Schwächen geflissentlich zu übersehen. Und so begab es sich, dass die Frau schwanger wurde. Sie verkündete, das Wunder der unbefleckten Empfängnis sei ihr widerfahren, und da sich keiner der Männer freiwillig zu seiner Vaterschaft bekannte, glaubten die Einheimischen ihr die Geschichte. Sie wussten, dass ihr das Gelegenheit gab, einen liebestollen Soldaten übers Ohr zu hauen und zur Heirat zu zwingen. Trotzdem schwor sie bis zuletzt, sie sei noch Jungfrau.
An dem Morgen, als sie ins Krankenhaus gebracht wurde, war Santiago nicht zugegen. Sie war im siebten Monat, und etwas Fürchterliches musste geschehen sein. Der junge laotische Chirurg, der in jener Nacht Dienst tat, glaubte die Blutung nur stillen zu können, indem er den Fötus entfernte. Die Entscheidung lag bei ihm, und niemand zweifelte an seinem Urteil. Aber die Frau starb auf dem OP-Tisch. Der laotische Arzt war untröstlich. Als Santiago vormittags zum Dienst erschien, war der junge Mann volltrunken und redete wirres Zeug. Der alte Arzt versuchte ihn zu beruhigen, ohne Erfolg. Ihm wurde klar, dass es hier um weitaus mehr ging als um die bloße Trauer eines Arztes, der einen Patienten verloren hatte. Da musste etwas anderes dahinterstecken. Santiago sprach mit der Oberschwester. Sie sagte, der Chirurg habe sie aus dem OP-Saal geschickt, bevor sie einen Blick auf den Fötus habe werfen können. Dann habe er ihn eigenhändig in die Totenhöhle gebracht, wo er noch am selben Abend eingeäschert werden sollte. Santiago war von der Geschichte so fasziniert, dass er zur Höhle hinaufstieg, wo er einen kleinen Leinensack fand, in dem er das Kind der
Vietnamesin vermutete. Doch was er darin entdeckte, war nicht menschlich. Der Sack enthielt den unfertigen Fötus eines Affen.
Sowohl Siri als auch Dtui hielten dieses Schauermärchen für frei erfunden, doch der Erzähler schien glaubwürdig und noch dazu erstaunlich ruhig. Seine zweite Geschichte war nicht minder seltsam. Ein Parteikader aus Havanna war eigens angereist, um sich von der korrekten Verwendung kubanischer Hilfsgelder bei einem der wenigen humanitären Überseeprojekte seines
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