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Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed

Titel: Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Colin Cotterill
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war es weiter nichts als eine Höhle. Siri öffnete die letzte Tür zu einem Nebenraum des alten Konferenzsaals, der vermutlich ebenso leer war wie die anderen Zimmer, als die Tür zu seinem Erstaunen gegen ein Hindernis stieß. Er leuchtete mit der Taschenlampe durch den Spalt und sah hinein. Der Raum war bis unter die Decke mit allerlei Gegenständen vollgestopft, wie der geheime Vorratsspeicher einer Elster.
    Er ahnte, worauf er gestoßen war. Hier hatte Odon nach seiner Rückkehr aus Hanoi gewohnt. Siri stellte sich vor, wie er hier gehaust hatte, unter den wachsamen Augen der LVBA. Auf dem steinernen Feuerrost direkt unter dem Lüftungsschacht stand ein rußgeschwärzter Topf. Ein Lager aus Stroh hatte ihm als Bett gedient. Ein grüner Plastikeimer ohne Griff enthielt Trinkwasser, und an der Wand stand das einzige Möbelstück im Raum: ein hoher Kleiderschrank aus Holz. Noch bevor Siri sich ihm näherte und an der Tür zog, wusste er, dass sie verschlossen
war und der Schlüssel in seiner Hand sie öffnen würde. Trotzdem zerrte er erst einmal am Türgriff, als er im Innern ein Geräusch zu hören glaubte. Der Schlüssel passte, und die Tür schwang auf. Obwohl der Schrank auf den ersten Blick leer zu sein schien, schoss etwas blitzschnell aus der Dunkelheit hervor und verfehlte sein Ohr nur um Haaresbreite. Er war zu langsam, um es mit dem Lichtstrahl der Taschenlampe zu verfolgen, aber er hatte das leise Flügelschlagen wenn schon nicht gehört, so doch deutlich gespürt. Vermutlich eine Fledermaus, aber das ließ sich nicht mit Gewissheit sagen, denn sie war schon aus dem Zimmer. Er sah noch einmal in den Schrank – ein einfaches Rechteck mit einem Ablagefach und einer Garderobenstange. Das war alles – keine Kleider, nichts. Nicht einmal ein Spiegel an der Türinnenseite. Er fragte sich, weshalb jemand einen leeren Schrank verschloss und den Schlüssel nicht einmal im Angesicht des Todes aus der Hand gab.
    Siri tastete sämtliche Ritzen und Winkel des alten Schrankes ab, um das Loch oder den Spalt zu finden, durch den die Fledermaus eingedrungen war. Doch seine Suche blieb erfolglos, und so begann er noch einmal von vorn, etwas gründlicher diesmal. Er drückte von innen gegen die Wände, in der Hoffnung, dass sie nachgeben würden. Er klopfte das massive Teakholz systematisch ab, trat einen Schritt zurück und kratzte sich am Kopf. Nichts. Die Fledermaus konnte unmöglich von außen in den Schrank gelangt sein. Unter keinen Umständen. Aber das verstieß gegen sämtliche Regeln der Logik. Der Schlüssel stammte aus der Hand eines Mannes, der fünf Monate zuvor in Zement gegossen worden war. In dieser Zeit hätte die Fledermaus Berge von Futter benötigt. Doch selbst wenn der
Schrank mit Futter vollgestopft gewesen wäre, hätte sie im Laufe von fünf Monaten Unmengen von Scheiße produzieren müssen, und davon war weder etwas zu sehen noch zu riechen. Siri stand vor einem Rätsel.
    »Also gut«, sagte er laut, und seine Stimme hallte von den Höhlenwänden wider. »Dann muss jemand einen Zweitschlüssel besitzen. Und dieser Jemand – nennen wir ihn der Einfachheit halber Isandro – hat den Schrank ausgeräumt und die Fledermaus darin eingesperrt. Vielleicht war es aber auch ein Versehen, und er hat das Tier gar nicht bemerkt. Aber warum hätte er den leeren Schrank dann wieder verschließen sollen?« Siri war beileibe kein Experte für die Fressgewohnheiten von Fledermäusen. Er wusste nur, dass sie wie Ente schmeckten und sehr gesund waren. Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, dass eine Fledermaus länger als zwei Wochen ohne Nahrung oder Flüssigkeit auskommen konnte. Was wiederum bedeutete, dass Isandro noch Monate nach der Ermordung seines Freundes in der Höhle gewesen sein musste.
    Er wusste, dass diese Theorie mehr Löcher hatte als ein Schweizer Käse, auch wenn er den nur vom Hörensagen kannte. Aber wenigstens hatte er jetzt eine leidlich plausible Hypothese. Die nächste halbe Stunde verbrachte er damit, das Zimmer gründlich zu durchsuchen. Alles war mit schimmernden Spinnweben bedeckt, die im Schein der Taschenlampe wie Raureif glitzerten. Er fand einen Rucksack, mehrere Haufen achtlos zurückgelassener Kleider, Wasch- und Rasierzeug, eine Handvoll spanischer Bücher, Kerzen, zwei nicht geladene Makarow-Pistolen aus sowjetischen Armeebeständen, ein kleines Paket mit Trockenrationen – Tee, Kaffee, Milchpulver -, ein Tablett mit den versteinerten Überresten verschiedener

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