Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
Tunnel. Das Licht schien Siri aus einer Trance zu reißen.
»Einer von ihnen ist auf dem Weg hierher«, sagte er zu Dtui.
»Wen meinen Sie mit ›ihnen‹«?
»Die Geister der negritos .«
Sie hätte auf die Übersetzung gern verzichtet, aber das war sie Santiago schuldig. Die Nachricht schien den alten Arzt noch stärker zu beunruhigen als sie. Er presste sich rücklings gegen den Altar, und seine olivschwarzen Augen schnellten nervös hin und her.
»Und was sollen wir jetzt tun?«, flüsterte Dtui.
»Nichts«, antwortete Siri, der noch immer in den leeren Tunnel starrte. » Sie sagt, wir brauchen uns keine Sorgen zu machen.«
Dtui wollte lieber gar nicht wissen, wer »sie« war. Sie klammerte sich an Siris Arm und hielt den Atem an. Hinter ihr murmelte der Kubaner halblaut vor sich hin. Sie drehte den Kopf hin und her, ohne Erfolg. Außer Siri konnte den ungebetenen Besucher niemand sehen.
Er war nackt und schwarz wie die Nacht. Seine Gesichtszüge schienen nicht recht zusammenzupassen. Ungestüm stürzte er auf Siri zu und baute sich vor ihm auf. Obwohl es sich vermutlich um den kleineren der beiden Kubaner handelte, musste Siri den Kopf in den Nacken legen, um in die leeren, ausdruckslosen Augen des Mannes sehen zu können. Und so standen sie da und wussten nicht, wie es weitergehen sollte. Der Schwarze verlor allmählich die Geduld und wurde wütend. Er blickte Siri über die Schulter und starrte mit unverhohlenem Zorn auf Dtui. Er bleckte die Zähne und hob die Faust, als wolle er sie schlagen.
»Dtui, treten Sie zurück. Stellen Sie sich neben Santiago«, rief Siri.
Sie gehorchte, obwohl sie beim besten Willen keinen Geist sehen konnte. Siri reckte den Hals und breitete die Arme aus. Er ballte die Fäuste und fing kaum merklich an zu zittern. Das Zittern wurde immer stärker und erinnerte Dtui an das lautlose Vibrieren eines Lastwagenmotors. Als sie und Santiago sahen, wie heftig Siri zitterte, wussten sie, dass eine fremde Kraft im Spiel war. Da sie um seine Sicherheit fürchtete, schlang Dtui von hinten die Arme um den Doktor. Aber sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte ihn nicht zur Ruhe bringen.
Da plötzlich erschlaffte er in ihren Armen, und sie ließ ihn zu Boden sinken. Einige Sekunden lang war alles still und stumm. Dtui hielt Siri die Hand vor den Mund, spürte aber keinen Atem. Da schlug er, ebenso plötzlich wie er zusammengebrochen war, die Augen auf und lächelte sie freundlich an.
»Schwester Dtui, ich würde es sehr begrüßen, wenn Sie dem Drang, sich mir an den Hals zu werfen, künftig widerstehen könnten.«
»Ich habe nun mal eine Schwäche für bibbernde Männer«, sagte sie. Santiago war kreidebleich; er trat zu ihnen, um seinen alten Freund zu untersuchen. Er fühlte erst Siri und dann sich den Puls. Siri sah aus, als ob er sich geprügelt hätte. Sein Gesicht war mit rätselhaften blauen Flecken übersät, die sich scharf gegen seine leichenblasse Haut abhoben. Dann kehrte seine Kraft nach und nach zurück, und die blauen Flecken verschwanden vor ihren Augen.
»Das nenne ich eine wundersame Genesung. Offenbar ist doch noch nicht aller Tage Abend, Dr. Siri«, sagte sie.
»Das alles tut mir aufrichtig leid.«
»Sie haben etwas gesehen, nicht?«
»Ja, in der Tat.«
»Was hat es gesagt?«
»Nichts.«
»Aber es hat etwas mit Ihnen angestellt.«
»Dtui, ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich habe das dumpfe Gefühl, dass einer unserer kubanischen Freunde sich in mir häuslich eingerichtet hat.«
Das übersetzte sie wohlweislich nicht.
Drei Dinge hatte der Igel unerwähnt gelassen, als er Herrn Geung auf direktem Wege nach Vientiane geschickt hatte. Erstens, dass die Straße diesen gewaltigen Schlenker nur machte, um die Ausläufer der Kuang-Si-Berge zu umgehen, von denen einige selbst für Ziegen zu steil waren. Kaum hatte Geung einen von ihnen schnaufend und ächzend bezwungen, ragte auch schon der nächste vor ihm auf.
Ferner hatte der Igel ihm nicht gesagt, was er tun sollte, wenn der Himmel bedeckt war, da Geung sich am Lauf
der Sonne orientierte. Anfangs machte er einfach Rast, ließ sich nieder und wartete, bis die Wolke sich verzogen hatte. Doch je höher er kletterte, desto dichter wurden die Wolken, und die Sonne ließ sich immer seltener blicken. Folglich wurden auch die Wartezeiten immer länger, bis er gegen drei Uhr nachmittags schließlich festsaß. Er befand sich in einer Zwickmühle. Er wusste, dass er weitergehen musste, aber nicht, in
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