Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
eine Akustik, um die ihn selbst die Mailänder Scala beneidet hätte.
Hier sollte in der nächsten Woche das Konzert für Freundschaft und Zusammenarbeit stattfinden, ein starträchtiges Spektakel zur Feier der Unterzeichnung des laotisch-vietnamesischen Fünfundzwanzig-Jahres-Vertrages über Freundschaft und Zusammenarbeit der beiden Staaten. Die früheren Höhlenbewohner würden zu einem nostalgischen Wochenende anreisen, die ausländischen Gäste in ihre eleganten neuen Häuser einladen und sie am Sonntagabend in dieses unterirdische Wunderwerk entführen, um sich eine Vorstellung der besten vietnamesischen Tänzer und Musiker anzusehen. Danach würden sie sich beim lumwong ins Reiswhisky-Nirwana schunkeln, bis sie in ihr Quartier zurückgetragen werden mussten. Siri hatte Lit gefragt, warum das Unterhaltungsprogramm ausschließlich von Vietnamesen bestritten werde. Zwar rage die Provinz Houaphan geografisch gesehen in das Nachbarland hinein wie der Hintern einer dicken Frau aus einem schmalen Badezimmerfenster, gehöre seines Wissens aber immer noch zu Laos. Lit betete die entsprechenden Parolen herunter – »unseren vietnamesischen Gästen Respekt zollen«, »von erfahreneren Künstlern lernen«
-, hatte jedoch keine Erklärung dafür, warum Laos nicht eine einzige Attraktion zu bieten hatte, mit der man die Gäste hätte beeindrucken können.
Diese Gedanken schossen Siri durch den heftig wippenden Kopf, als er sich der Quelle des Lärms näherte. Er redete sich ein, es müsse sich um eine Probe handeln. Vermutlich stellten sie die Lautsprecheranlage auf die Saalakustik ein und hatten nur Discomusik auf Band. Es war eine logische Erklärung, und er konnte sich eventuell dazu durchringen, ihnen zu verzeihen. Er hatte die letzten drei Jahrzehnte in Gesellschaft von Soldaten zugebracht, für die Gehorsam und Befehlserfüllung sämtliche sozialen und moralischen Bedenken außer Kraft setzten.
Da die dichten Stachelbeerbüsche, die einst zur Tarnung des Höhleneingangs gedient hatten, beseitigt worden waren, gelangte Siri ungehindert bis vor die Öffnung in der Felswand. Nun musste er nur noch zwei, drei hohe Steinstufen erklimmen, dann schließlich stand er an der Treppe, die in den Saal hinunterführte. Von hier oben konnte er bis zur Bühne sehen. Ihm blieb die Luft weg. Er plumpste schwerfällig auf eine Stufe. Eine Sekunde später, und er wäre aus den Pantinen gekippt. Der Konzertsaal war voll – berstend voll -, ein brodelnder Hexenkessel, ein wildes Getümmel und Gewimmel. Er hatte keine Ahnung, wo die Musik herkam. Nirgends waren ein Discjockey oder gar Lautsprecher zu sehen, trotzdem ging ihm der stampfende Beat durch Mark und Bein. Er schlug mit dem Fuß den Takt und ließ den Blick über die wogende Menge schweifen. Das waren keine schicken jungen Leute in Schlaghosen und breitkragigen Hemden. Sondern Menschen wie du und ich. Bauern, Mütter, die ihre Babys auf dem Rücken trugen, alte Männer. Die einzigen
Teenager, die er ausmachen konnte, steckten in fleckigen Uniformen und machten ein verwirrtes Gesicht, als hätten sie sich versehentlich hierher verirrt. Selten hatte sich in Houaphan ein so gemischtes Publikum an einem Ort versammelt und mit solcher Begeisterung gefeiert.
Abgesehen von seiner Liebe zum Jazz interessierte Siri sich nicht für amerikanische Musik und hätte nicht einmal die einfachsten Fragen zu Genres und Geschichte beantworten können. Doch entweder von Dtui oder einer der anderen Schwestern in der Mahosot-Klinik hatte er irgendwann einmal das Wort Disco gehört und sich verwundert gefragt, wie es durch die Maschen des staatlich verordneten Antiamerikanismus hatte schlüpfen können. Seit er wusste, wie man die Musik nannte, hörte er sie immer häufiger im thailändischen Radio. Sie war auf dem Schwarzmarkt für beschlagnahmte US-Waren erhältlich. Laotische Tanzkapellen schmuggelten die eine oder andere Nummer in ihr Repertoire und verkauften sie den Regierungsspitzeln als traditionelle Stammesmusik. Und jetzt hörte er sie hier, in der Konzerthöhle von Houaphan.
Das Blut war in Siris Beine zurückgekehrt, und seine Knie zuckten wie Scheibenwischer im Rhythmus der Musik. Seine anfängliche Panik hatte sich in Euphorie verwandelt. Er hatte sofort erkannt, was diese begeisterten Partygänger einte. Ihnen allen war ein Leben ohne Angst verwehrt geblieben. Sie waren die unschuldigen Opfer eines endlosen Krieges. Sie alle wollten weiter nichts als leben. Leider hatten sie das
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