Totentanz für Dr. Siri - Cotterill, C: Totentanz für Dr. Siri - Disco for the Departed
stammten dann die Kratzer auf Odons Brust?«
»Ja, ich gebe zu, es hat ein Weilchen gedauert, bis ich dahinterkam. Vor allem der Umstand, dass Odons Leichnam die Male aufwies, Isandros hingegen nicht, verwirrte mich. Dann überlegte ich, was den Jungs ihr Wissen um Santiagos kleines Hobby eigentlich brachte. Wenn sie beispielsweise drohten, ihn zu verraten und einen Brief an die Projektleiter in Havanna zu schreiben, in dem sie darlegten, was ihr hiesiger Vertreter so im Schilde führte, was konnte Santiago ihnen dann als Gegenleistung bieten? Womit wir bei den Todesfällen wären. Sie alle wussten, dass Hong Lan nicht mehr lange zu leben hatte. Aber Isandro konnte den Gedanken, sie zu verlieren, nicht ertragen. Ihre Seelen sollten bis in alle Ewigkeit vereint sein. Odon erzählte Isandro von einem alten Palo-Brauch. Ein älteres Ehepaar aus einem Dorf in der Nähe seiner Heimatstadt hatte sich vergiftet. Dann hatte ein Schamane ihre Seelen im Tod vereint.«
Santiago fragte Dtui, woher der Doktor all das wisse.
»Ich habe mich gestern Abend angeregt mit Odon unterhalten«, antwortete Siri lächelnd. »Sagen Sie ihm, er würde sich wundern, wie gut sich zwei Männer, die keine gemeinsame Sprache sprechen, mit Hilfe von Händen und Füßen und einem spitzen Stock zu verständigen wissen.«
Genüsslich übersetzte Dtui seine Worte.
Der Leichenbeschauer fuhr fort. »Die Kubaner dachten, wenn Santiago wirklich ein so großer Priester sei, müsse er mit dieser Zeremonie vertraut sein. Vielleicht würde er sich ja bereiterklären, sie zu vollziehen, als Gegenleistung für ihr Schweigen. Aber Santiago weigerte sich, sie zu vollziehen.
Er willigte jedoch ein, Odon darin zu unterweisen. Die Kratzer gehörten wahrscheinlich zu den Vorbereitungen des Rituals. Aber vielleicht ist der gute Doktor ja so freundlich, uns die Zeremonie zu erläutern, damit wir uns ein genaueres Bild davon machen können, was in der fraglichen Nacht passierte.«
Santiago hielt erschrocken inne. Er war damit beschäftigt gewesen, den Deckel der Teekiste möglichst unbemerkt zu öffnen. Trotzdem willigte er ein, die Geheimnisse der Zeremonie preiszugeben. Es wunderte Siri, dass er diese mutmaßlich streng geheimen Informationen so bereitwillig weitergab. Doch der Kubaner ließ kein noch so nebensächliches Detail aus und schöpfte mit sichtlichem Stolz aus dem reichen Schatz seines Wissens. Wie es schien, mussten die Herzen der Liebenden frisch sein, damit das Ritual seine Wirkung tun konnte. Am besten sei es, wenn die noch schlagenden Herzen bei lebendigem Leib herausgeschnitten würden, aber das sei den meisten Leuten etwas zu blutig. In jedem Falle müsse man die Leichen nach dem Exitus so lange wie möglich frisch halten.
»Daher das nasse Grab«, folgerte Siri. »Aber warum?«
Santiago erklärte Dtui, dass das Paar in der Ewigkeit genau so aussehe wie zu dem Zeitpunkt, da die Verschmelzung ihrer Seelen vollzogen worden sei. Und da selbst die Untoten so etwas wie ästhetisches Empfinden besäßen, sähen sie es ungern, wenn der oder die Geliebte sich im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung befindet.
In den drei Nächten vor der Zeremonie rührt der Priester eine spezielle Paste an. Nur die allerbesten Priester kennen die erforderlichen Zutaten und Beschwörungsformeln. Der Kubaner prahlte mit seinen Fähigkeiten und nannte sich einen führenden Vertreter der schwarzen Kunst.
Siri unterbrach Dtui in ihrer Übersetzung. »Bitte danken Sie dem Doktor für seine Werbung in eigener Sache. Aber es wäre nett, wenn er auf die fragliche Nacht zurückkommen könnte.«
Santiago lachte.
»Was ist denn so komisch?«, wollte Lit von Dtui wissen.
Sie wand sich auf ihrem Stuhl, bevor sie ihm eine Antwort gab. »Er sagt, er könne uns alles verraten, was wir wissen wollen, weil …«
»Weil?«
»Weil wir drei uns an dieses Zusammentreffen ohnehin nicht erinnern werden. Er sagt, morgen früh bei Sonnenaufgang werden wir nicht einmal mehr wissen, wer wir sind.« Dtui und Lit machte diese Ankündigung sichtlich Angst. Nur Siri konnte ihr etwas Komisches abgewinnen.
»Darauf freue ich mich jetzt schon«, sagte er unwirsch. »Aber dieses kleine Kunststück haben Civilai und ich schon tausend Mal fertiggebracht. Mit einer Flasche Reiswhisky ist das wahrhaftig kein Problem. Und nun zur Zeremonie.«
Santiago gratulierte dem Doktor zu seiner Kaltschnäuzigkeit angesichts des grausigen Endes, das er in Kürze nehmen werde. Er erklärte sich bereit, das
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