Totentanz
Streifschuß, der ihm den Scheitel neu gezogen hatte, eine schwere Rippenprellung vom Absturz, eine ordentliche Gehirnerschütterung und einige kräftige Schrammen quer über die Brust. Man hatte ihm ein Medikament gegeben, damit er die Nacht durchschlief. Sie hatte es Galvano erst nach seinem Telefonat mit Viktor Drakič gesteckt, weil sie nicht sicher war, daß der Alte nicht doch noch in letzter Minute einen Rückzieher machte. Galvano hatte lediglich kurz gestutzt, die Freude überwog jedoch seine Empörung, und Pina nahm ihm zum zweitenmal das Versprechen ab, mit keiner Seele darüber zu reden. Doch dieses hatte er gleich zweimal gebrochen: gegenüber der Ehefrau und der Geliebten.
»Wer war das?« fragte Proteo.
»Eine Bekannte«, sagte Galvano trotzig.
»Wer?«
»Deine Frau. Sie tut mir aufrichtig leid.«
Živa lachte laut, und wenn die Schmerzen nicht gewesen wären, hätte Laurenti den nächsten greifbaren Gegenstand nach dem Alten geschleudert. So blieb sein Blick nur auf dem Nachttisch neben seinem Bett hängen. »Von wem sind die Blumen?« fragte er.
Živa lächelte.
»Sie sind von deiner Frau«, schnauzte Galvano. »Sie hat Tag und Nacht bei dir gesessen und Händchen gehalten. Heute früh fuhr sie nach Hause, um sich frisch zu machen. Sie wird auch nicht klüger. In einer halben Stunde ist sie da.«
Laurenti tastete vorsichtig nach dem Schlauch, der an seinem linken Unterarm baumelte. »Brauch ich das?«
»Schau mal unter die Decke.« Galvano feixte. »Da hast du noch eine Abwasserleitung. Fühlt sich gut an, oder?«
»Wie lange war ich weg?«
»Nicht mal einen ganzen Tag«, flüsterte Živa und setzte sich auf die Bettkante. Ein sanftes Lächeln umspielte ihre Mundwinkel, und sanft wie eine Feder strich sie Laurenti das Haar aus der Stirn. »Hast du starke Schmerzen?«
»Sehr.« Laurenti zog eine Grimasse.
»Wehleidig ist er auch.« Galvano schaute über Živas Schulter auf ihn herab. Der Hund schien der einzige zu sein, der sich unbeschwert freute, daß Laurenti wieder unter den Lebenden weilte.
»Geht es mir sehr schlecht?« fragte Laurenti. »Dumme Frage, ich weiß. Aber kann mir bitte einmal jemand sagen, was los ist? Ich erinnere mich an nichts.«
»Sauf weniger«, schnauzte Galvano. »Du bist sogar zu dämlich, erschossen zu werden.«
»Wenigstens hat er seine alte Herzlichkeit nicht verloren«, stöhnte Laurenti und verdrehte die Augen.
»Du kommst bald wieder auf die Beine«, sagte Živa. Sie beugte sich zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuß auf die Stirn. Laurenti schloß die Augen und genoß den Duft ihrer Haare. Doch die Idylle war rasch vorbei. Wieder war es die Stimme Galvanos, der es einfach nicht schaffte, einmal die Klappe zu halten.
»Wie immer, mehr Glück als Verstand, Laurenti. Ein Streifschüßchen. Nur ein Zentimeter weiter rechts, und du hättest den Aufprall nicht gespürt, als du von der Mauer fielst.«
»Streifschuß? Mauer? Was redet er da?«
»Du warst bei der Weinlese in Santa Croce, als auf dich geschossen wurde.«
Laurenti tastete nach dem Verband an seinem Kopf.
»Einer der Killer wurde gefaßt, aber er gibt nicht einmal seine Personalien preis. Nach den Etiketten in seinen Kleidern zu schließen, fällt er in meine Zuständigkeit.«
»Drakič?« flüsterte Laurenti, und Živa hob die Augenbrauen.
»Warum kannst du eigentlich nie stillhalten?« mischte sich Galvano ein.
»Seit wann dürfen eigentlich Hunde ihren Tierarzt ins Krankenhaus mitbringen?« fragte Laurenti. »Wo bin ich hier? Etwa nicht in Cattinara? Schick den Alten raus. Ich will mit dir allein sein.«
»Versuch dich zu erinnern, Proteo«, sagte Živa. »Ich muß zurück nach Pula. Aber ich halte Kontakt mit Pina, deiner Inspektorin, und meinem Kollegen von der hiesigen Staatsanwaltschaft. Und außerdem kommt gleich deine Frau. Übrigens steht eine Wache draußen vor der Tür.«
»Nimm bitte Galvano mit«, ächzte Laurenti. »Sonst werde ich nie gesund.«
*
Viktor Drakič ließ sich, nachdem der Sturm sich in den frühen Morgenstunden gelegt hatte, mit dem Hubschrauber nach Ljubljana bringen und von dort mit dem Wagen über den Loibl-Paß nach Klagenfurt zum Hauptsitz der Bank am Alpe-Adria-Platz, wo bereits ein Koffer mit der geforderten Summe bereitstand. Nur Drakič war in der Lage, ihn von dem zu unterscheiden, den er selbst mitgebracht hatte und in dem sich die gleiche Summe nochmals befand. Diesen ließ er in der Obhut seines Chauffeurs. Die Fünfhunderteuroscheine waren
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