Totentanz
Schloß fallen. Mühsam erhob er sich und wankte zu dem Waschbecken an der Wand. Er legte die andere Kamera ab und drehte den Hahn auf. Vorsichtig wusch er sein Gesicht und tastete nach der Beule an seinem Hinterkopf. Dann lachte er plötzlich laut auf. Einen Kerl wie ihn legt man nicht so einfach um. Doch wer wollte ihm an den Kragen? Und was suchte diese Person?
Damjan wog die Kamera in seiner Hand und schaltete sie ein. Er atmete auf, als er den Speicher durchblätterte. Die Bilder waren alle da. Schließlich stellte er sie in das Ladegerät, ging vorsichtig zur Tür und machte das Licht im Flur an. Leer. Beruhigt drehte er den Schlüssel im Schloß und ging langsam hinaus. Dann sollte ihm die andere Kamera eben gestohlen bleiben. Er hatte die Bilder geliefert, und morgen hätte er so viel Geld, daß er sich eine bessere kaufen könnte.
»Was ist passiert?« fragte Jožica, als er zum Parkplatz kam.
»Nichts«, antwortete Damjan. »Ich habe mich gestoßen. Fahr du.« Er wollte sie nicht beunruhigen. Morgen nachmittag wäre alles vorbei. »Ich will nach Hause.«
Nach wenigen Kilometern gerieten sie in einen Wolkenbruch, der sie zu Schrittempo zwang. Damjan lehnte sich zurück und schloß die Augen.
*
Sie hatte, was sie wollte. Ihre Rechnung war aufgegangen. Alba Guerra jagte mit dem Motorrad in die Stadt hinunter. In einer Viertelstunde endete die Premiere der »Tourandot« im Teatro Verdi. Sie hatte die Konsulin am frühen Abend bis fast zum Eingang verfolgt, sich jedoch rasch zurückgezogen, um mit ihrem wirren feuerroten Haar und der schweren Lederjacke nicht aufzufallen zwischen den Frackträgern mit den glänzenden Glatzen und den Damen in nicht immer zu ihrem Vorteil dekolletierten Abendroben, die morgen wieder eine ganze Zeitungsseite füllen würden. Von diesen Herrschaften hielt sie so wenig wie von den Linken. Ihrer Meinung nach brauchte das Land endlich eine starke Hand und keine verkappten Christdemokraten mehr, die selbst mit den Kommunisten Koalitionen eingingen, wenn nur etwas dabei für sie heraussprang, Geld, Posten, Freisprüche oder Erleichterungen anderer Art.
In der Kurve bei der Universität wäre Alba beinahe auf dem Asphalt gelandet. Es begann zu regnen und der Straßenbelag war schmierig. Sie reduzierte ihr Tempo und kam am Opernplatz gerade rechtzeitig an, als sich die Portale öffneten und das Triestiner Bürgertum herausströmte. Schnellen Schrittes überquerten jene den Platz, die nicht mit Niederschlägen gerechnet hatten, und verschwanden in der Passage des Tergesteo. Das Café dort würde heute abend guten Umsatz machen, zumindest bis man trockenen Fußes nach Hause kam. Alba entdeckte die Konsulin, die ohne Begleitung herauskam, und folgte ihr. Es war nicht weit bis zur Via Mazzini, in die Alba hineinfuhr, obwohl sie nur für den Busverkehr freigegeben war. Petra Piskera war klatschnaß, als sie vor der Tür eines neoklassizistischen Gebäudes in ihrer Handtasche nach dem Schlüssel kramte. Alba Guerra sah eine kleingewachsene Frau auf einem Rennrad heranbrausen und hörte sie rufen, die Konsulin möge die Tür offenhalten. Die beiden begrüßten sich mit Wangenkuß, schimpften über das Wetter und verschwanden schließlich im Aufzug, nachdem die Zwergin ihr Fahrrad im Entree an die Wand gelehnt hatte.
Alba Guerra eilte nach Hause und stürmte die Treppen hinauf. Nicht einmal ihrer nassen Klamotten entledigte sie sich, so sehr brannte sie darauf, ihre Beute am Computer zu betrachten. Hastig schloß sie die Digitalkamera an, die sie Babič abgenommen hatte, und versuchte, die Bilder zu laden. Ihr Herz stockte und ihr Triumphgefühl wich dem Schrecken, der sie auf den Stuhl zwang. Es durfte nicht wahr sein. Das Programm zeigte an, daß der Speicher leer war. Sie zwang sich zur Ruhe, überprüfte alle Einzelheiten des Geräts, startete den Computer neu und wiederholte jeden einzelnen Schritt mit Bedacht. Doch die Information blieb unverändert: »Keine Dateien vorhanden«.
Verflucht. Sie war Damjan Babič gefolgt, als er die Mensa verließ und sich auf seinen Rundgang machte. Sie hatte mit eigenen Augen gesehen, wie er sich in den Büroräumen eines Forschungsinstituts namens ISOL, Institut für Solartechnik, an den Aktenschränken zu schaffen machte, Pläne herauszog und sie fotografierte. Völlig unbekümmert hatte er sogar das Licht in den Räumen angeschaltet und nicht, wie in Spionagefilmen, mühsam mit einer Taschenlampe herumgefunzelt. Wo waren die verdammten Fotos?
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