Totentanz
vergiften.«
Marietta mußte mit dem Bürostuhl zurückfahren, um ihr den Rücken zudrehen zu können. Immer öfter beharrte Pina darauf, daß sie sich an die Vorschriften hielt.
»Hol doch die Polizei«, feixte Marietta und beugte sich über die Papiere auf ihrem Schreibtisch.
»Wart’s ab. Ich kann auch anders.« Pinas Stimme klang bitter.
Marietta wußte zwar, daß Pina sich meist türenknallend in ihr Büro verzog, wenn sie sie einfach ignorierte, doch schaffte sie es heute nicht, sich auf die Zunge zu beißen. »Du brauchst Stoff für deinen Comic, Kleine.«
Oft genug hatte die Inspektorin einen Zeichenblock und Stifte dabei. Sie zeichnete gut, flink und mit der linken Hand. Und mehr als einmal hatte sie davon erzählt, ihre Dienstzeit in diesem Irrenhaus von Kommissariat und dieser Stadt zeichnerisch zu dokumentieren.
»Dann leer das Stinkzeug wenigstens aus«, fauchte Pina.
»Proteo fragt, ob der Rapport über die Sache mit der Handgranate fertig ist.« Mariettas Stimme ließ sie auf der Türschwelle verharren. »Er wartet darauf.«
»Kommt schon. Der Kollege muß ihn erst noch lesen.«
»Welcher Kollege?«
»Welcher schon? Der, vor dessen Haustür sie explodiert ist.«
»Laurenti will ihn jetzt lesen. Egal, was dein Kollege dazu meint. Verstanden?«
Pina grinste bemüht. »Jetzt? Aber sein Büro ist leer. Wo ist er?«
»Er ist immer hier«, sagte Marietta kühl. »Auch wenn du ihn nicht siehst. Er wartet darauf.«
»Ich drucke ihn nur noch aus«, sagte Pina kleinlaut, aber gereizt.
»Und achte gefälligst mehr auf das Ansehen der Polizei. Ich bin mir sicher, daß der Chef dein Benehmen gar nicht schätzt. Solch einen Auftritt hat sich bis jetzt noch keiner geleistet.«
Pina hob die Augenbrauen. Sie hatte keine Ahnung, wovon Marietta sprach, die ihr die kalte Schulter zeigte und so tat als konzentrierte sie sich auf den Bildschirm. Pina schnappte den Aschenbecher und leerte ihn hinter deren Rücken in die Handtasche von Laurentis Assistentin.
*
Galvano war wütend. Seit einer halben Stunde wartete er bereits vor der Questura, doch Laurenti war immer noch nicht eingetroffen. Neben ihm saß der schwarze Köter, den er dem Kommissar einst abspenstig gemacht hatte. Laurenti hatte überall zum besten gegeben, daß die zwei alten Knacker gut zueinander paßten und nur zu hoffen blieb, daß keiner den anderen überlebte. Der alte Gerichtsmediziner konnte so eine Unverschämtheit nicht auf sich sitzen lassen. Über Wochen erzählte er herum, Laurenti verfüge selbst nur über einen Hundeverstand und habe den alten, ausgedienten Polizeihund immer böse traktiert. Niemand wollte das glauben, denn immer wenn der Bastard Laurenti entdeckte, sprang er freudig an ihm hoch und versuchte, ihm das Gesicht zu lecken.
Heute fühlte sich Galvano aber aus einem ganz anderen Grund gedemütigt. Die neue Inspektorin hatte sich einen üblen Scherz mit ihm erlaubt, und so etwas verzieh er nicht. Natürlich war alles wieder auf Laurentis Mist gewachsen. Mit großen Augen und sanfter Stimme, die beide nicht im geringsten zu ihr passten, hatte die kleine Inspektorin ihn verlogen um seine Hilfe gebeten. Ausgerechnet ihn. In seiner sechzigjährigen Tätigkeit als Gerichtsmediziner war Galvano selten als Philanthrop im Einsatz gewesen. In den kalten Verliesen seines Instituts hatte er seine Klienten auseinandergenommen, zerlegt, zersägt und zerschnitten, Kugeln entfernt, Mageninhalte analysiert, Wunden untersucht und Geschlechtsorgane begutachtet und danach wieder so zusammengeflickt, daß sie in die Grube fahren konnten, ohne daß die Angehörigen beim letzten Gruß einen zu großen Schock erlitten. Die Menschen waren für ihn eine wehleidige, sentimentale Schöpfung mit dem großen Defekt, Phantasie zu entwickeln, wenn ein kühler Kopf vonnöten war. Weichtiere – auch wenn er oft genug zur Knochensäge gegriffen hatte. Laurenti war sein Musterbeispiel, und seit gestern zählte er die Zwergpolizistin ebenfalls dazu.
Pina hatte ihn in der Bar Portizza auf der Piazza della Borsa zu einem Espresso eingeladen und ihn in eine Ecke bugsiert, wo sie ungestört reden konnten. Aus einem dicken Briefumschlag hatte sie diese seltsamen Blätter gezogen und ihm eines nach dem anderen vorgelegt. Sehr unvorsichtig so etwas. Gut, daß sie an ihn geraten war, denn er konnte die Klappe halten. Aber daß sie die anonymen Schweinereien auch Laurenti gezeigt hatte, war wirklich keine gute Idee gewesen. Jetzt würde es bald die ganze
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