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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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vermasselt sah. Nachdem er nur fünfmal in die Riemen gegriffen hatte und am Porto Vecchio vorbei bis zum kleinen Hafen von Cedas gerudert war, entschied er sich schließlich, erst im kommenden Jahr wieder einen neuen Anlauf zu machen.
    Nur das Verbrechen hatte sich vom Wetter keine Depression geholt. Zwar entfiel der Löwenanteil an Arbeit inzwischen an die Kollegen, die immer mehr mit illegalen Einfuhren aus dem Fernen Osten, der Türkei oder vom Balkan zu kämpfen hatten. Die europaweite Wirtschaftskrise wirkte sich an der Grenze besonders aus und nahm immer skurrilere Formen an. Vor einem Jahr erwischten die Zöllner noch einen LKW mit Billigsärgen aus der Ukraine, die für das kriselnde Deutschland bestimmt waren, doch in dieser Woche flogen zwei Fuhren auf, mit denen niemand gerechnet hatte: ein Container mit gefälschten Gebissen aus der Türkei für die Niederlande und einer mit Nonnenkutten aus China mit »Made in Italy«-Etiketten für den Vatikan. Aber auch Bremsbeläge und andere Autoersatzteile, medizinisches Besteck, Handtaschen, Kleidung, Messer, Sonnenbrillen, Tomaten, Parmesan und im Winter selbst Petersilie, alles, was das Herz begehrte – und alles gefälscht oder falsch deklariert. Die Produktpiraterie war die einzige wirkliche Boombranche im globalen Wettbewerb.
    Auf Laurentis Schreibtisch waren einige Personendelikte gelandet, die innerhalb der neuen Einwanderergruppen verzeichnet wurden. Gewiß, es gab ein paar Taschendiebe, die in den Linienbussen alte Damen um ihre Portemonnaies zu erleichtern versuchten, oder am Lungomare bei Barcola während der wenigen wolkenlosen Tage die Taschen der Badenden filzten. Doch bevor sie sich’s versahen, landeten sie zur Abkühlung in einer der engen Zellen des Coroneo. Für die kleinen Fische war es in Triest fast aussichtslos, nicht geschnappt zu werden. Aber was waren Taschendiebstähle schon gegen Schmuggelgut, dessen ökonomische Bedeutung im dunklen Kreislauf der Geschäfte beängstigende Ausmaße annahm? In der Hoffnung auf gute Konzernumsätze im Fernen Osten schaufelte sich Europa mit seiner Freihandelspolitik das eigene Grab.
    Laurenti hatte als Chef der Kriminalpolizei meist nur mit den Auswüchsen dieses illegalen Gewerbes zu tun. Manchmal schnappten die Beamten vom Streifendienst Typen in gestohlenen Luxusautos, denen man schon von weitem ansah, daß sie die Wagen nicht bezahlt hatten. Ferner rätselte man über die Identität zweier Fernfahrer, deren Leichen man im Abstand von vierzehn Tagen auf dem Parkplatz der Raststätte Duino gefunden hatte. Ihre Fahrzeuge waren samt Fracht verschwunden, es gab Parallelen zu Delikten in Kärnten, doch trotz der guten Zusammenarbeit mit den österreichischen Kollegen kam man keinen Schritt voran. Dann die Abertausende Lieferwagen mit ukrainischen, rumänischen, bulgarischen Kennzeichen, die täglich über die Autobahn hier vorbeikamen und alles transportierten, was Geld brachte. Post, Einkäufe, Menschen – auch Kinder unter vierzehn Jahren, die zum Stehlen abgerichtet wurden.
    Die lokalen Medien beschäftigten allerdings mehr die Beschwerden über die Invasion der Möwen im Zentrum, die vereinzelt sogar Fußgänger attackierten, als wäre ihnen die Jagd nach den Tauben langweilig geworden. Das neue Stadtgespräch. Warum nur wählten die Tiere ausgerechnet die Köpfe Svevos, Sabas, Kosovels im Stadtpark oder die Verdistatue vor der »Malabar«, die Büste Oberdans hingegen nicht?
    Als vor kurzem drei Seeleute festgenommen wurden, hatte sich im Kommissariat ein handfester Krach entwickelt. Die Männer hatten auf der Piazza Barbacan stangenweise Zigaretten aus dem Duty Free in Dubai verkauft, und Laurentis Assistentin hatte sie bedauert.
    »Endlich gibt es auch bei uns billige Zigaretten«, kicherte Marietta, »nicht nur in Neapel und Genua.« Lustvoll zündete sie sich eine neue Kippe an, die sie aus dem Päckchen zog, auf dem die Aufschrift fehlte, die besagte, Rauchen mache impotent, ließe die Haut altern oder schädige den Kanarienvogel der verwitweten Nachbarin. Im übervollen Aschenbecher auf ihrem Schreibtisch qualmte noch die Glut der vorigen.
    Pina Cardareto hingegen war eine Nichtraucherin, die aus ihrer Überzeugung keinen Hehl machte, und in öffentlichen Räumen, Büros, Bars und Restaurants inbegriffen, herrschte Rauchverbot.
    »Geh runter auf die Straße, wenn du unbedingt paffen mußt«, fauchte sie. »Besser wär’s, du würdest ganz aufhören, anstatt schleichend deine Umwelt zu

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