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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Und dann wurde sie von der Detonation einen Häuserblock weiter noch einmal am Einschlafen gehindert.
    *
    »Dieses eine Mal noch«, sagte Damjan Babič zu seiner Frau Jožica, als sie zum kleinen Grenzübergang von San Pelagio, Šempolaj, kamen, der die freie Fahrt über den Karst behinderte. Eine politische Grenze, die ganze Familien getrennt hatte, als sie kurz nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten festgelegt wurde, indem man von Hubschraubern Säcke mit Gips abwarf und dann auf dieser Spur die Demarkationslinie zwischen dem damals unter angloamerikanischer Verwaltung stehenden »Territorio Libero di Trieste« und dem kommunistischen Jugoslawien Titos errichtete. Sie lief quer über die Äcker und Privatgrundstücke, und in einem kleinen Ort bei Gorizia durchschnitt sie sogar ein Grab auf einem Friedhof. Carlo Ponti hatte im Dorf Santa Croce 1949 unter der Regie von Luigi Zampa, mit Gina Lollobrigida in der Hauptrolle, einen Schmachtfetzen gedreht mit dem Titel »Cuori senza Frontiere«, Herzen ohne Grenzen, der im Volksmund »Linea bianca« genannt wurde. Die weiße Linie, die das Land zerschnitt.
    Es war der letzte Tag ihrer Spätschicht. Sie hatten den Vormittag für ihre kleine Landwirtschaft genutzt, Damjan die Weinstöcke gespritzt und Jožica Tomaten und Gemüse geerntet, bevor sie sich nach einem deftigen Mittagessen in den Wagen setzten. Damjan schaute besorgt nach den schwarzen Wolken über Komen. Ein Hagelsturm konnte die Ernte ruinieren. Sie fuhren am »Paradiso«, einem Nachtclub, vorbei und bogen bei Antonio, dem Friseur mit Sonderservice in Form von Zimmern mit Ukrainerinnen, auf die Hauptstraße ab. Zwanzig Minuten später waren sie pünktlich zum Dienstbeginn im Forschungszentrum.
    »Dieses Mal noch und dann Schluß«, pflichtete Jožica erleichtert bei und stieß einen Seufzer aus. »Morgen muß uns die Konsulin auszahlen …«
    »… und übermorgen liegt die Kündigung bei der Personalverwaltung auf dem Tisch. Jožica, zlata moja, dann ist Schluß mit der täglichen Fahrerei. Als erstes werde ich unser neues Nebenhaus verputzen.«
    »Und gleich streichen«, sagte Jožica. »Rot. Ich will ein knallrotes Haus.«
    »Sobald der Putz trocken ist.« Dicke Regentropfen fielen auf die Windschutzscheibe. »Falls er trocknet. In diesem Sommer regnet es nur.«
    »Und Schößlinge müssen wir ziehen, für den neuen Weingarten.« Jožica legte ihre Hand auf die ihres Mannes am Steuer. »Vitovska und Pinela. Was hältst du davon, wenn wir drei Fremdenzimmer einrichten? Ferien auf dem Bauernhof.«
    »Oder für die Italiener, die die Puffs im Dorf frequentieren«, feixte er.
    Als er um 22.00 Uhr seinen letzten Rundgang über das Gelände des »AREA SciencePark« machte, wunderte Damjan Babič sich, die rothaarige Frau mit der Lederjacke eilig hinter einem Müllcontainer verschwinden zu sehen. Was ging hier vor? Er wußte inzwischen, in welchem Labor sie angestellt war, doch dort waren die Lichter längst gelöscht. Einmal noch flackerte der Impuls in ihm auf, sie anzusprechen und sich zu vergewissern, daß alles mit rechten Dingen zuging. Doch dann kam ihm das Kündigungsschreiben in den Sinn, das er mit seiner Frau aufgesetzt hatte und das nur darauf wartete, am übernächsten Morgen ausgehändigt zu werden. Sollte die Rothaarige doch machen, was sie wollte. Er hatte seine Aufnahmen und mußte nur noch die Digitalkamera in die Räume der CreaTec Enterprises bringen. Die andere, gegen die er sie austauschte, würde er dann für sich behalten.
    Babič setzte seinen Gang fort, kontrollierte, ob alle Türen verschlossen waren und klapperte mit dem mächtigen Schlüsselbund in seiner Hand. Als letztes kam er zum Pavillon der CreaTec. Wie jedesmal schloß er sorglos die Tür auf. Immer war er der letzte, und den Weg zu dem Schreibtisch, auf dem er den Fotoapparat deponieren mußte, fand er im Dunkeln. Er schloß nicht einmal die Tür hinter sich, keine Minute dauerte das Auswechseln der Kameras. Als er beide in Händen hielt, sah er plötzlich Sterne. Der Schlag war heftig und zwang den schweren Mann in die Knie. Er wollte sich abstützen, der Fotoapparat, den er soeben aus der Ladestelle genommen hatte und von dem er die Wärme der aufgeladenen Batterie fühlte, glitt ihm aus der Hand. Dann spürte er einen Tritt in den Rücken und fiel vornüber. Er hatte nicht das Bewußtsein verloren, und als er sich wieder aufrichtete, hörte er Schritte am Ende des Flurs und kurz darauf die Tür zum Pavillon dumpf ins

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