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Totentanz

Totentanz

Titel: Totentanz Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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»Wieviel bezahlen für Stunde?«
    »Vier Euro«, antwortete der Mann strahlend.
    »Vierzig Euro. Gut. Ich kommen mit.«
    »Nein, vier Euro.«
    »Vierzig. Oder ich nicht kommen.«
    »Also fünf. Aber du können das wirklich? Putzen, mauern, Platten legen?«
    »Nix Problem«, sagte Laurenti. »Aber du bezahlen vierzig Euro, und ich dir alles machen in halbe Zeit. Du sparen viel Geld.«
    »Mensch, hau ab.« Der Fahrer wedelte nervös mit der Hand und fuhr einen Meter weiter. Er pfiff einen anderen Mann heran, der nach einigem Hin und Her in den Wagen stieg. Laurenti merkte sich die Autonummer und ging auf den kleinen Platz hinüber, wo neben dem Zeitungskiosk und dem Schlüsseldienst inzwischen einige Verkaufsstände mit Billigtextilien und Haushaltskram aufgeschlagen wurden. Zwei Vigili urbani, die Stadtpolizisten, schlenderten heran, kümmerten sich aber so wenig um die Schwarzarbeiter, wie diese sich um sie, sondern kontrollierten die Gewerbescheine der fliegenden Händler, maulten aus Prinzip ein bißchen herum und gingen dann weiter. In der Viale D’Annunzio würden sie sich gleich ans Strafzettelverteilen machen. »Um diese Zeit?« fragte Laurenti sich. »Sie sind wie die Ameisen. Sobald es warm ist, kommen sie aus ihren Löchern. Wenn es regnete, wären sie mit Sicherheit nirgends zu sehen, selbst wenn man sie wirklich einmal brauchte.«
    Laurenti ging bis zur Ecke Via Foscolo und stellte sich vor die Bankfiliale, auf die vor ein paar Wochen ein dreister Überfall versucht worden war. Von hier überblickte er das gesamte Geschehen. Immer wieder sah er eine schmierige Type in seinem Alter, die, wie er selbst, besser gekleidet war als die anderen. Der Mann hatte das ansprechende Gesicht eines Totengräbers und genoß ganz offensichtlich Autorität. Laurenti sah, wie er gezielt von einem zum anderen ging, ein paar Worte wechselte, die Hand aufhielt, einen Geldschein in der Jackentasche verschwinden ließ oder ein paar Notizen machte, wenn die Hand leer blieb. War es denkbar, daß der Mann diese Leute abkassierte? Schutzgeld? Was war bei diesen armen Teufeln zu holen? Laurenti schoß mit Lauras kleiner Kamera ein paar Bilder und machte sich hastig mit der Vespa aus dem Staub, bevor zwei große Kerle ihn greifen konnten, die ihn vermutlich schon länger im Visier hatten und schnurstracks auf ihn zu kamen. Er gab Gas und schaute nicht zurück.
    Was er gesehen hatte, reichte, um die Razzia mit den Kollegen vorzubereiten. Während er mit der Vespa an der Markthalle am Largo Barriera vorbeifuhr, überschlug Laurenti vage die Summe, die man diesen Leuten abpressen konnte. Nur kleine Euroscheine, Fünfer und Zehner, hatten den Besitzer gewechselt. Deutlich über hundert Männer waren sicher jeden Tag hier. Also fünfzehnhundert bis zweitausend Euro, wenn alle zahlten. Und das sechs Tage die Woche. Verdammt, das waren zwischen sechsunddreißig und achtundvierzigtausend im Monat. Woher hatte diese schmierige Type die Macht, daß man ihm, ohne zu zögern, einen Teil des kargen Verdienstes ausbezahlte? Von Eintrittskarten zum Schwarzarbeitsmarkt hatte Laurenti bisher noch nie gehört. Waren die Schüsse auf die beiden Kleinunternehmer und die Splittergranate letzte Nacht etwa unmißverständliche Warnungen gegen säumige Schuldner? Dann konnte dieser Mann nicht alleine handeln, sondern war Teil einer Organisation, von der die Ordnungskräfte keinen Schimmer hatten. Warum hatte dies bisher niemand beobachtet und berichtet?
    Er befand sich in der Via Carducci auf der mittleren von sechs Fahrspuren, als der Motor der Vespa abstarb. Mit quietschenden Reifen versuchten die Autofahrer auszuweichen, Hupkonzerte und wütende Flüche folgten. Laurenti kümmerte sich nicht weiter darum und schob sein Gefährt zum Straßenrand. In diesem Jahr hatte die Stadtregierung all die kleinen Tankstellen im Stadtzentrum schließen lassen, die man in solchen Notfällen stets leicht erreichen konnte. Der Fortschritt zog auch in Triest ein, schleichend zwar, aber er veränderte Gewohnheiten. Laurenti mußte schieben. Er schwitzte, obwohl die Straße leicht abschüssig war. Bei der Bäckerei Giorgi bockte er die Vespa auf und reihte sich in die Schlange der Kunden vor der Theke ein. Wenn er schon hier vorbeikam, konnte er wenigstens ein paar Brioches zum Frühstück kaufen. Laura würde sich darüber freuen und Marco auch. Kaum hatte er, mit der Tüte in der Hand, den Laden verlassen und den Sattel der Vespa aufgeklappt, um sie zu verstauen, bauten

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