Totentanz
nicht jeder Wagen kontrolliert, und notfalls sind da noch die kleinen Übergänge oder Feldwege. Und übers Meer ist es noch einfacher.«
»Ich hätte nicht den Mut, mich noch mal hier blicken zu lassen.« Laurenti kratzte sich am Kopf. »Und ich bin auch nicht im geringsten scharf darauf, die Dame wiederzusehen. Aber vielleicht hat es auch etwas Gutes. Immerhin könnte sie uns auf die Spur ihres Bruders führen.«
»Wer sagt, daß der Name in ihrem Paß noch der gleiche ist?«
»Solch ein Gesicht vergißt man nicht«, sagte Laurenti. »Ich würde sie auf einen Kilometer Entfernung wiedererkennen. Mich interessiert viel mehr, was sie mit dieser Konsulin zu tun hat. Weiß der Teufel, was dort läuft. Solange die Drakič im Spiel ist, rechne ich mit dem Schlimmsten.« Laurenti griff zum Telefon und wählte die Nummer des Staatsanwalts. »Ich muß Sie dringend sprechen. Wir haben alte Kundschaft im Land.«
Marietta sah, wie sich Laurentis Miene verfinsterte. »Ah, Sie wissen es bereits? Danke, daß Sie mich informiert haben.«
Laurenti schien immer wütender zu werden und hatte Mühe, sich zur Ruhe zu zwingen. Sein Fuß wippte nervös unterm Tisch.
»Nein, keine Sorge, Staatsanwalt«, beschwichtigte er mit bebender Stimme. »Wir werden alle internationalen Gesetze und Vereinbarungen einhalten und die Konsulin mit Respekt behandeln. Selbstverständlich, Herr Staatsanwalt. Selbstverständlich.« Er legte auf.
Der Mann hatte heute angeblich keinen Termin mehr frei. Er nahm die Sache offensichtlich nicht so ernst wie Laurenti, dabei hatte er einst auf Platz eins der Abschußliste von Viktor Drakičs Boß gestanden. Doch seit Petrovac aus dem Verkehr gezogen worden war, bestand keine Lebensgefahr mehr. Daß es ihn aber so gleichgültig ließ, Tatjana Drakič erneut in der Stadt zu wissen, überraschte Laurenti wirklich. »Normalerweise scheißt mich entweder der Questore oder der Präfekt zusammen. Warum zum Teufel mahnt mich jetzt der Staatsanwalt zu einer Behutsamkeit, die normalerweise nicht einmal die seine ist? Und dann gibt er auch noch vor, erst morgen Zeit zu haben.« Wieder griff er zum Hörer und tippte die Vorwahl Kroatiens ein und dann die Nummer von Živa. Beim ersten Klingeln legte er auf. Solange Marietta im Raum war, wollte er nicht mit seiner ehemaligen Geliebten telefonieren. »Besorg mir die Akte Tatjana Drakič, Marietta. Und auch die von ihrem Bruder. Sofort. Es ist besser, wir haben das Zeug griffbereit. Los, sei ein Schatz.«
Marietta seufzte und stand auf. Sie haßte die muffige Luft und das künstliche Licht im Archiv. »Du weißt ja, für einen anderen würde ich das nie tun.«
Sie lehnte die Tür nur an und sah, wie Laurenti den Hörer abnahm und die Wiederholungstaste betätigte. Und sie hörte, wie er die kroatische Staatsanwältin aus Pula mit bebender Stimme begrüßte.
Marietta verdrehte die Augen und drückte die Tür ins Schloß. Der arme Mann hatte offensichtlich Streß mit seiner Geliebten. Und sie wußte davon bisher noch nichts, obwohl sie doch jeden seiner Schritte kannte – und kontrollierte. Was sie gehört hatte, genügte. Rasch machte sie sich auf den Weg ins Reich der Spinnweben, um die beiden Akten herauszukramen.
Laurenti schilderte sachlich und knapp, was vorgefallen war. Die kroatische Staatsanwältin versprach kühl, sich darüber zu informieren, was Tatjana Drakič in den vergangenen Jahren seit ihrer Freilassung getan und wo sie sich aufgehalten hatte. Von Viktor Drakič allerdings wußte sie, daß er sich inzwischen als honoriger Geschäftsmann mit mehreren Unternehmen, darunter ein Tankstellenverbund, etabliert hatte und in höchsten Kreisen verkehrte. Laurenti staunte.
»Das hättest du mir schon früher sagen können«, schimpfte er dann doch.
»Weshalb? Einem Auslieferungsbegehren kann sein Land nicht stattgeben, und hier liegt nichts gegen ihn vor«, antwortete Živa Ravno trocken. »Willst du ihn etwa entführen?« Dann versprach sie, ihn zurückzurufen, sobald sie neue Erkenntnisse hätte.
»Wenn es im Sommer regnet, ist es da unten unerträglich«, sagte Marietta, als sie ihm die beiden Akten aus dem Archiv auf den Tisch legte, und wischte sich den Schweiß von der Stirn.
»Ich mache einen Staatsbesuch«, sagte Laurenti und stand auf. »Mal sehen, was die schwarze Dame über Tatjana Drakič weiß.«
*
Nachdem Petra Piskera die verbliebenen Unterlagen geordnet und teilweise im Safe gesichert sowie das Konsulat einmal durchgefegt hatte, frischte sie
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