Totentanz
stets ein kluger, zynischer und mitleidloser alter Knacker gewesen, der alles daransetzte, seine Freunde zu vergraulen.
»Ich weiß soviel wie Sie, Dottore. Es tut mir leid. Wir müssen jetzt weiterarbeiten. Entschuldigen Sie uns bitte.« Pinas Tonfall war so bestimmt, daß Galvano deprimiert den Rückzug antrat.
Als sich die Tür hinter ihm geschlossen hatte, bat Pina ihre Kollegin, die Koordination der Kollegen zu übernehmen. Noch immer wurde im Weinberg nach dem Projektil gesucht. Wo die Kugel hätte ins Erdreich eindringen können, wurde mit Metalldetektoren geforscht und sogar die Erde umgegraben, Patrouillien durchkämmten die anderen Grundstücke an der Steilküste, die Grenzkontrollen wurden verstärkt, und der Gerichtsmediziner sollte bald eine erste Diagnose der Wundballistik vorlegen. Die Befragungen aller, die sich zum Zeitpunkt des Attentats im weiteren Umkreis des Tatorts aufgehalten hatten, liefen noch. Schon bald wußte man, daß der schwarze Audi niemandem gehörte, der an der Weinlese beteiligt war. Die Anfrage in München hatte ergeben, daß der Wagen mit dem Kennzeichen M-CH507 auf einen papierverarbeitenden Hightechbetrieb mit Filialen in Wien und Zürich zugelassen war – ein Firmenwagen. Die Deutschen wollten nach dem Fahrzeug fahnden.
Schließlich verschwand Pina, ohne Marietta zu informieren. Sie hatte entschieden, den ihrer Ansicht nach einzig möglichen Weg zu gehen, selbst wenn sie damit der angestrebten Karriere einen Dämpfer versetzte. Sie würde ihn bald genug wieder ausgleichen können: Auf ihrem Personalkonto standen bereits so viele Pluspunkte, daß sich das Risiko lohnte. Und käme sie zum Erfolg, dann wären am Ende alle zufrieden, der Commissario, der Questore, der Präfekt und die Medien.
In der Via Torbandena drückte sie lange die Klingelknöpfe des Konsulats und stürmte, sobald geöffnet wurde, die Treppen hinauf. Grußlos lief sie an der Sekretärin vorbei, die ihr mit offenem Mund nachstarrte. Petra Piskera schaute erstaunt auf, als die Inspektorin sich vor ihr aufbaute.
»Komm mit«, rief Pina atemlos. »Ich muß dir etwas zeigen, was dich mit Sicherheit interessiert.«
»Bist du privat hier oder als Polizistin?«
»Als deine Freundin. Beeil dich.«
»Dann bin ich ja beruhigt.« Das Lächeln der schwarzhaarigen Konsulin war so falsch wie ihre Haarfarbe. »Und was soll so wichtig sein, daß ich alles liegen- und stehenlassen soll?« Petra Piskera lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Sie war weit davon entfernt, der Aufforderung nachzukommen. Im Flur tratschten ihre drei Mitarbeiterinnen, die sich zur Mittagspause aufmachten. Dann fiel die Tür ins Schloß. Die beiden Frauen waren allein.
»Hast du deine Wohnung heute früh abgeschlossen?«
»Warum?« Jetzt horchte die Schwarzhaarige plötzlich auf. »Ist etwas passiert?«
»Gestern nacht meine und heute morgen deine Wohnung. Irgend jemand schnüffelt uns nach.«
Petra Piskera erhob sich schlagartig. »Natürlich habe ich abgeschlossen. Bist du dir sicher?«
Pina hob zur Antwort nur die Augenbrauen und wartete, bis die Konsulin endlich zum Gehen bereit war. »Hast du Wertsachen zu Hause?« fragte sie.
»Schmuck und Kleider. Sonst nichts Wichtiges.«
»Akten, Geschäftsunterlagen vielleicht?«
»Die sind alle hier. Was wurde eigentlich bei dir gestohlen?«
»Nichts. Eigenartig, aber es fehlt nichts. Als hätte das Schwein etwas gesucht, aber nicht gefunden. Deswegen frage ich. Vielleicht hat er die Wohnungen verwechselt.«
»Schwer vorstellbar. Bei mir ist nichts zu holen. Ich habe keine unersetzlichen Erbstücke, keine Dokumente, kein Geld. Nichts, was sich zu stehlen lohnt.«
Die beiden Frauen bogen in die Via Mazzini ein und mußten zwei Omnibusse vorbeilassen, bevor sie die Straße überqueren konnten. Der Vorhang der Portiersloge wurde rasch zugezogen, als sie den Flur betraten. Pina faßte Petra am Arm und machte ein Zeichen. Dann zog sie ein feinsäuberlich gefaltetes Blatt aus ihrem Briefkasten und runzelte die Stirn.
Es war das Foto eines Slips, wie Pina ihn trug. Zwei kleine Stoffdreiecke, weiß mit roten Punkten in der Größe einer Euro-Münze. Der Dieb hatte ihn vermutlich aus dem Korb mit der Schmutzwäsche gestohlen. »Endlich kommen wir uns näher«, stand daneben. »Ich besuche dich bald.«
Rasch gingen die beiden Frauen zum Aufzug und fuhren hoch.
»Dein Verehrer ist hartnäckig«, sagte die Konsulin schließlich.
»Hast du bemerkt, wie der Vorhang der Portiersloge sich bewegt hat,
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