Totentanz
erwartete. Sein Boß war unkalkulierbar, nie ließ sich an seinem Gesicht ablesen oder aus seiner Stimme heraushören, was er als nächstes tun würde. Alles hatte Zvonko bisher gesehen, bis hin zum Kopfschuß, ausgeführt von Viktor Drakič selbst, der dabei keine Miene verzog, nicht einmal, als die Hirnmasse seines Opfers ihm mitten ins Gesicht spritzte.
Vor kurzem hatten sie ihr Motorboot am Anleger festgemacht, waren mißmutig zum Leuchtturmwärterhaus hinaufgegangen und mißmutig bei Drakičs rechter Hand vorstellig geworden. An der Laune einer guten Sekretärin läßt sich stets die des Chefs ablesen: Branka begrüßte sie mit keinem Wort und ließ sie im Entree stehen, ohne den Blick von ihnen zu wenden. Erst nach einer halben Ewigkeit erhob sie sich und ging zum Konferenzzimmer hinüber, um Drakič zu informieren. Sie flüsterte ihm etwas ins Ohr und ging wieder hinaus. Milan und Zvonko standen noch einmal zwanzig Minuten schweigend vor ihr, bis der Chef sie endlich mit einem knappen Befehl in sein Büro beorderte.
»Niemand verrät mich, ohne dafür zu büßen.« Drakič schob das Kinn vor. »Wo ist das Gewehr?«
Der jüngere der beiden Killer räusperte sich verlegen. »Es gab keine andere Möglichkeit. Wir mußten es zurücklassen. Die waren zu schnell. Schlagartig wimmelte es von Polizisten und Hubschraubern. Die Einsatzwagen riegelten alle Zufahrten ab. Wir mußten uns so unauffällig wie möglich verziehen. Bei einer Kontrolle hätten wir schlecht ausgesehen mit der Waffe im Auto.«
»Ich bin mir hundertprozentig sicher, daß ich ihn erwischt habe. Mitten in die Stirn«, sagte Zvonko mit gepreßter Stimme.
Drakič sprang auf, raste auf den Mann zu, riß die Waffe aus dessen Holster, knallte ihm den Lauf der Pistole an die Schläfe und spannte den Hahn. Aber er drückte nicht ab. »Mitten in die Stirn? So, wie ich?« Seine freie Hand lag an Zvonkos Kehle und quetschte den Kehlkopf.
Der Killer hustete und zitterte. Ängstlich schielte er zu seinem Chef, den er um einen Kopf überragte und wie eine Mücke zwischen den Händen hätte zerquetschen können. »Ja«, preßte er heraus. »Ich habe ihn erwischt.«
Drakič senkte die Waffe, als Zvonko aber hörbar aufatmete, traf ihn der Schlag des Metallkolbens mitten ins Gesicht. Blut schoß aus seiner Nase, als er auf die Knie fiel. Ein zweiter Hieb streckte ihn nieder.
»Steh auf«, zischte Drakič und versetzte ihm einen Tritt in den Unterleib. »Steh sofort auf, oder du wirst es nie wieder können.«
Röchelnd robbte der Mann auf allen vieren zum Tisch und zog sich an ihm hoch. Sein Kollege blieb eingeschüchtert stehen und kam ihm nicht zu Hilfe. Drakič ging zu seinem Sessel zurück und setzte sich.
»Wo ist die Waffe?«
»Unmöglich, daß sie jemand findet. Wir wollten sie später holen, wenn sich alles beruhigt hat, aber da erhielten wir den Befehl, sofort zu Ihnen zu kommen.«
»Wo ist das Gewehr?« Drakič trommelte ungeduldig auf die Tischplatte.
»Es steht in einem Weingarten. Luftlinie sechshundert Meter.«
»Mitten in der Weinlese wählt ihr Idioten solch einen Platz? Und laßt das Gewehr dort stehen? Ein Wunder, wenn es noch niemand gefunden hat.« Drakič wollte sich offensichtlich nicht im geringsten an seine eigenen Instruktionen erinnern. Im Erfolgsfall machte er hingegen alles zu seiner genialen Erfindung, und niemand widersprach ihm je.
»Dort waren die Trauben schon gelesen. Es besteht keine Gefahr«, wagte Milan zu sagen.
»Das hoffe ich für euch. Ihr habt die beste Waffe der Welt samt Laserentfernungsmesser, und ihr verfehlt das Ziel. Kein Wunder, daß wir so lange gebraucht haben, mit den Serben fertig zu werden. Über fünf Millionen habe ich in die Entwicklung dieser Waffe gesteckt, drei Exemplare gab es bis heute morgen von der letzten Version. Und ihr laßt sie einfach stehen! Gnade euch Gott, wenn ihr sie bis Mitternacht nicht zurückgebracht habt. Los jetzt.«
Sie rannten beinahe hinaus. Fünf Minuten später legten sie ab.
Kaum waren sie draußen, um sich zurück auf den Weg nach Triest zu machen, griff Viktor Drakič zum Telefon. Es dauerte nicht lange, bis seine Schwester antwortete. »Und, wie sieht es aus?« fragte er. »Weißt du mehr?«
»Keiner kann ihm helfen. Er haucht soeben sein Leben aus.« Tatjana war in der Galleria Tergesteo stehengeblieben, der überdachten Passage, die Opern- und Börsenplatz miteinander verband. Sie hatte ihr Auto auf dem Konsulatsparkplatz in der Via San Carlo geparkt und war
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