Totentöchter - Die dritte Generation
ob du es geschafft hast, in den Keller zu kommen.«
Ich nicke, schniefe und versuche es als Husten zu tarnen. »Wir haben einen Plan. Nächsten Monat verschwinden wir. Aber vielleicht kann ich noch etwas länger bleiben.«
»Ich hab diese Gardinen nicht für nichts und wieder nichts in Brand gesetzt. Du wirst hier rauskommen und es wird fantastisch werden.«
»Komm mit uns«, sage ich.
»Rhine …«
»Du hasst das alles hier. Willst du wirklich den Rest deines Lebens in diesem Bett verbringen?« Was wird die
Freiheit für sie tun können? Ich weiß nicht, was ich glaube. Dass sie das Meer sehen wird? Dass wir den Sonnenaufgang als freie Wesen erleben können? Dass wir sie auf hoher See bestatten werden?
»Rhine, ich werde schon hinüber sein, bevor du weggehst.«
»Sag das nicht!«
Ich lasse meine Stirn auf ihre Schulter sinken und sie streicht mir mit den Fingern durchs Haar. Tränen lauern bedrohlich in meinen Augen, aber ich dränge sie mit Macht zurück. Von der Anstrengung zittert mir die Lippe. Um ihretwillen will ich stark sein, aber sie kriegt meinen Kummer mühelos mit.
»Es ist in Ordnung«, sag sie. »Es ist gut so.«
»Du bist verrückt, das zu sagen.«
»Nein«, sagt sie und rückt etwas von mir ab, sodass ich den Kopf heben und sie ansehen muss. »Denk daran, wie nah du dran bist, endlich das zu bekommen, was du willst.«
»Und was ist mit dir?«, frage ich lauter, als ich wollte. Das Zittern hat sich auf meine Hände übertragen und ich klammere mich an der Wolldecke fest.
Sie lächelt. Es ist ein unbeschwertes, wunderschönes Lächeln. »Ich werde auch bekommen, was ich will«, sagt sie.
In den folgenden Tagen fängt Linden an, Zeit mit Jenna zu verbringen. Doch nicht so wie mit mir nach meinem Fluchtversuch oder mit Cecily während ihrer Wehen. Er sitzt auf einem Stuhl oder auf dem Diwan, nie jedoch bei ihr auf dem Bett. Er berührt sie nicht. Ich weiß nicht,
worüber es redet, dieses entfremdete Ehepaar, das von Anfang an nicht mal Bekanntschaft geschlossen hat. Aber ich kann mir nur vorstellen, dass ihre Gespräche wie die obligatorischen letzten Unterredungen sind, die man in Krankenhäusern erwarten würde. Als würde er ihr letzte Wünsche erfüllen. Als würde er versuchen, irgendetwas zum Abschluss zu bringen, bevor sie geht.
»Wusstest du, dass Jenna Schwestern hatte?«, fragt er mich, während wir zu Abend essen. Nur wir beide. Cecily holt kostbaren Schlaf nach, wann immer sie kann, und Vaughn ist angeblich im Keller und arbeitet an seinem Wundermittel.
»Ja«, sage ich.
»Sie hat mir erzählt, dass sie gestorben sind. Bei irgendeinem Unfall«, sagt er.
Ich versuche zu essen, aber es ist schrecklich anstrengend zu kauen. Das Essen fällt durch den Hals in eine leere Grube. Ich schmecke nichts. Ich frage mich, warum Jenna mit all ihrer Verbitterung Linden nicht die Wahrheit über ihre Schwestern erzählt hat. Vielleicht ist es der Mühe nicht wert. Ihn von sich fernzuhalten, ist vielleicht ihre ultimative Art der Gehässigkeit. Sie wird sterben und er wird sie nie gekannt haben.
»Sie … sie habe ich nie wirklich verstanden«, sagt Linden. Er tupft sich den Mund mit einer Serviette ab. »Aber ich weiß, wie gern du sie hattest.«
»Hattest? Ich habe sie immer noch gern«, sage ich. »Sie ist nach wie vor da.«
»Natürlich. Tut mir leid.«
Den Rest der Mahlzeit reden wir nicht mehr, doch sogar das Klappern des Bestecks auf den Tellern nagt an
mir. Er ist so quälend unbedarft. Ich wette, wenn ich weglaufe, erzählt Vaughn ihm, dass ich gestorben bin, und gibt ihm irgendwelche Asche zum Verstreuen. Und dann wird er allein sein mit Cecily, die sich dieses Leben von Anfang an gewünscht hat, die wahrscheinlich noch ein halbes Dutzend Babys kriegt, um die leeren Stellen in ihrer beider Leben zu füllen. Und dann werden sie beide sterben und Vaughn wird sie ohne große Mühe ersetzen, denn er ist ein Erstgenerationer und wer weiß, wie lange er leben wird. Unsere Zimmer werden mit neuen Mädchen gefüllt werden, nachdem wir tot und verschwunden sind.
Linden und Cecily. Sie haben beide so abgeschottet gelebt, dass sie nicht einmal ahnen, was ihnen entgeht. Und das ist zu ihrem Besten. Sie werden sich von Jenna und mir verabschieden, uns an einem dunklen Platz in ihrem Herzen begraben – und für den Rest ihres kurzen Lebens weitermachen wie zuvor. Sie werden das Glück in Hologrammen und Illusionen finden.
Wie wären sie wohl zu einer anderen Zeit, an einem anderen
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