Totentöchter - Die dritte Generation
Rückgrats sehen. Wann ist sie so dünn geworden? Als sie mit dem Husten und Spucken fertig ist, ist kaum noch Leben in ihr. Mit geschlossenen Augen rollt sie sich auf den Rücken, liegt reglos da, abgesehen von der keuchenden Atmung. Sie bewegt sich nicht einmal, als Cecily und ich die fleckigen Laken unter ihr herausziehen.
Den ganzen Morgen verschläft sie, murmelt kaum etwas, als Cecily und ich ihr das befleckte Nachthemd ausziehen und sie mit kühlen Tüchern abtupfen. Ihre Haut ist mit Blutergüssen überzogen, so durchscheinend, so marmoriert von Äderchen, dass ich zögere, sie anzufassen. Einige davon haben angefangen zu bluten. Es ist, als hätte ihr Körper begonnen, von innen heraus zu verrotten. Ihr Haar ist dünn geworden, es fällt büschelweise aus. Ich fege es weg. Cecily liest laut aus dem Liebesroman
vor, in dem nur von kerngesunden Liebenden und Sommerküssen die Rede ist. Manchmal hält sie inne und räuspert die Schluchzer fort, die ihr im Hals stecken geblieben sind.
Wir schicken die Diener weg, die Medikamente bringen, nachdem sich herausgestellt hat, dass Jenna zum Pillenschlucken zu schwach ist und auch sonst nichts bei sich behalten kann, was sie ihr einzuflößen versuchen. Es wird so schlimm, dass Jenna, umnebelt und kaum in der Lage, zu sprechen, ihr Gesicht in meinem oder Cecilys Nachthemd versteckt, wenn sie Schritte nahen hört. Ich weiß, was sie uns damit sagen will. Rose hat um dasselbe gebettelt. Sie will nicht, dass dieses Elend in die Länge gezogen wird.
Gegen Adair wehrt sie sich jedoch nicht und deshalb darf er hereinkommen. Ihr Aufwärter bewegt sich leichtfüßig und seine Berührungen haben nichts Anmaßendes. Er reibt ihre Brust mit einer Salbe ein, die ihr das Atmen erleichtert. Und er bleibt nicht länger als nötig. Er hat immer von Jennas Schönheit geschwärmt, und er versteht, dass sie keine Zeugen will, wenn sie auf so furchtbare Weise stirbt.
Am späten Nachmittag ist Linden doch so besorgt, dass er nach uns sieht. Als er über die Schwelle tritt, verändert sich sein Gesicht augenblicklich. Er kann ihn riechen, den bleiernen Gestank nach Verwesung, Schweiß und Blut. An seinen Augen kann ich ablesen, dass er ihm vertraut ist. Er hat Roses letzte Tage an ihrer Seite verbracht. Aber er nähert sich dieser Ehefrau nicht. Ich weiß, dass Jenna immer Distanz zu Linden gewahrt hat, dass ihre Ehe rein sexuell war. Allerdings frage ich mich, ob
das nicht zum Teil auch Lindens Schuld war. Nachdem er Rose verloren hatte, wollte er keine andere Frau lieben, die er überleben würde. Ich habe ebenso viele Jahre vor mir wie er und Cecily wird uns beide überleben. Aber Jenna …
Linden sieht so kläglich und verzagt aus, wie er da steht. Seine drei Ehefrauen kauern sich auf einer nackten Matratze aneinander, eine von ihnen stirbt. Wenn wir zusammen sind, bilden wir eine Allianz, der er nichts entgegensetzen kann. Er hat sogar Angst, es zu versuchen.
»Ich habe vergessen, Bowen zu füttern, nicht?«, sagt Cecily, als sie ihren Sohn in Lindens Armen sieht.
»Das macht nichts, Liebes. Dazu ist die Amme da«, sagt Linden. »Ich mache mir mehr Sorgen um dich.«
Ich habe keine Ahnung, warum Linden seinen Sohn hierher bringt, es sei denn, er fühlt sich einsam und hofft, Cecily so weglocken zu können, damit sie ihm Gesellschaft leistet. Es klappt nicht. Cecily drückt ihr Gesicht an Jennas Arm und schließt die Augen. Ich schließe meine Augen auch.
Wir sind wieder im Lastwagen der Sammler, ziehen uns tief in die Dunkelheit zurück, wollen in der Sicherheit der Masse untertauchen.
»Die Diener haben gesagt, ihr hättet sie weggeschickt«, sagt Linden. »Lasst mich wenigstens jemanden mit frischen Laken hochschicken.«
»Nein«, murmelt Cecily. »Schick niemanden. Befiehl ihnen allen, sie in Ruhe zu lassen.«
»Kann ich irgendetwas tun?«, fragt er.
»Nein«, sage ich.
»Nein«, wiederholt Cecily wie ein Echo.
Ich kann fühlen, wie unser Ehemann in der Tür steht. Die Nähe seiner Frauen zueinander macht ihm Angst, als könnte eine sterbende Frau für alle drei der Tod sein.
Schließlich geht er ohne ein weiteres Wort.
Jenna murmelt etwas, was ich nicht verstehen kann. Ich glaube, es ist ein Name. Ich glaube, sie sucht ihre Schwestern.
»Ihr seid hier nicht sicher«, sagt sie. Ich weiß nicht, ob sie mit ihren Schwestern redet oder mit uns.
Jenna hat recht behalten. Sie geht vor mir. Wir verlieren sie in den frühen Stunden des ersten Januar, bevor die Sonne
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