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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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noch fünf Jahre Leben in sich hat. Ich frage mich, was er gerade macht und ob es ihm gut geht. Ich überlege, wie lange es wohl noch dauern mag, bis ich von diesem Ort fliehen kann oder ihm zumindest mitteilen, dass ich noch am Leben bin. Doch irgendwo tief in meinem Herzen, wo es noch dunkler ist als in diesem schrecklichen Keller, befürchte ich, dass mein Körper in Hausprinzipal Vaughns Forschung eingehen wird und dass mein Bruder nie erfährt, was mir zugestoßen ist.
    Deswegen tut es mir nicht leid, dass Linden Ashby sich verzogen hat und über etwas traurig ist, was ich beim Abendessen gesagt habe.
    In diesem Haus ist es ziemlich schwer, den Überblick über die Tage zu behalten, da sie sich alle gleichen, da ich nichts weiter bin als Lindens Gefangene. Ich war noch nie so lange von meinem Bruder getrennt. Von klein auf hat unsere Mutter immer meine Hand in seine gelegt und uns gesagt, wir sollten zusammenbleiben. Und das
haben wir getan. Wir gingen immer zusammen zur Schule, wichen einander nicht von der Seite, denn es hätte ja sein können, dass in den Ruinen eines alten Gebäudes oder in den Schatten eines liegen gebliebenen Autos Gefahren lauerten. Wir gingen gemeinsam zur Arbeit und unsere Stimmen leisteten einander nachts Gesellschaft, in einem dunklen Haus, das einst von der Gegenwart unserer Eltern erfüllt war. Vor dieser Zeit hier bin ich mein ganzes Leben lang nie auch nur einen Tag von ihm getrennt gewesen.
    Ich dachte, als Zwillinge wären wir in der Lage, einander immer zu erreichen, ich dachte, selbst aus weiter Ferne würde ich seine Stimme noch so klar hören können, als wäre er in unserem Haus im Zimmer nebenan. Wir haben immer miteinander geredet, wenn wir uns durch die Räume bewegten, er in der Küche, ich im Wohnzimmer, um die Stille nach dem Tod unserer Eltern zu vertreiben.
    »Rowan«, flüstere ich.
    Aber das Geräusch dringt nicht aus meinem Zimmer hinaus. Das Band zwischen uns ist durchtrennt.
    »Ich lebe. Gib mich nicht auf.«
    Wie zur Antwort klopft es leise an der Tür. Ich weiß, dass es nicht Cecily ist, denn auf das Klopfen folgt keine Frage oder Forderung. Deidre klopft nicht und Gabriel wird es um diese Zeit nicht sein.
    »Wer ist da?«
    Die Tür geht einen Spaltbreit auf und ich sehe Jennas graue Augen. »Darf ich reinkommen?«, fragt sie mit ihrer dünnen Stimme.
    Ich setze mich im Bett auf und nicke. Sie presst die
Lippen aufeinander, es sieht schon fast aus wie ein Lächeln, und nimmt auf dem Rand meiner Matratze Platz.
    »Ich habe bemerkt, wie Hauswalter Linden dich angesehen hat, als du den Orangenhain erwähnt hast«, sagt sie. »Warum?«
    Meine Instinkte warnen mich, auf der Hut zu sein vor dieser traurigen Braut, aber mein Kummer hat gerade ein Stadium erreicht, in dem meine Verteidigung zusammenbricht. Ich glaube, Gabriel würde sagen, ich habe den Mast umgelegt und mir erlaubt, in unsichere Gewässer hinauszutreiben. Sie wirkt so schüchtern und harmlos in ihrem weißen Nachthemd, das genauso ist wie meines, und mit ihrem dunklen Haar, das ihre Schultern wie ein Schleier umhüllt. Irgendwas daran erweckt in mir den Wunsch, sie als Schwester, als Vertraute zu betrachten.
    »Wegen Rose«, sage ich. »Er hat sich im Orangenhain in sie verliebt. Das war ihr Lieblingsplatz und den erträgt er nicht mehr, seit sie krank wurde.«
    »Wirklich?«, sagt sie. »Woher weißt du das?«
    »Rose hat es mir erzählt …« Ich halte inne, bevor ich hinzufügen kann, dass Rose mir alles Mögliche über unseren Ehemann erzählt hat. Einige seiner Schwächen will ich für mich behalten, wie etwa den Infekt, der ihn als Jungen beinahe getötet und ihn mehrere Zähne gekostet hat – deshalb die goldenen. Diese Dinge lassen ihn gewissermaßen weniger bedrohlich erscheinen. Wie jemanden, den ich überwältigen oder überlisten kann, wenn die Zeit reif ist.
    »Deshalb hat er so traurig ausgesehen«, sagt sie und zupft sich einen Fussel vom Saum.

    »Das war es, was ich wollte«, sage ich. »Er hatte kein Recht, uns hierher zu bringen, aber ich glaube, das wird er niemals begreifen. Deshalb wollte ich ihn verletzen, so wie er mich verletzt hat.«
    Jenna blickt auf ihren Schoß und ihre Lippe zuckt, was ich zunächst für ein Lächeln oder Lachen halte, doch Tränen stehen ihr in den Augen und ihre Stimme ist brüchig, als sie sagt: »Meine Schwestern waren in diesem Lastwagen.«
    Ihre Haut wird blass, und ich bekomme eine Gänsehaut, als ihre kleinen Schluchzer das Bett erschüttern.

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