Totentöchter - Die dritte Generation
Freunde. Als Rose krank wurde, hat er den Besitz nicht mehr verlassen.«
»Was hat er denn vorher gemacht?«, frage ich und lächele so, als hätte sie gerade etwas Entzückendes gesagt.
»Häuser entworfen«, sagt sie und bauscht mir das Haar um die Schultern herum auf. »Fertig! Du siehst so hübsch aus.«
Meine Schwesterfrauen und ich beginnen den Abend als Mauerblümchen, wie es uns unsere Aufwärter beigebracht haben. Wir halten uns an den Händen, teilen uns einen Becher Punsch, sehen hübsch aus und warten darauf, vorgestellt zu werden. Eine nach der anderen werden wir von den Fremden, den Erstgenerationern, zum Tanz geholt. Sie legen ihre Hände auf unsere Hüften und Schultern, kommen uns zu nahe und zwingen uns, den Geruch ihrer frischen Anzüge und ihres Aftershaves einzuatmen. Ich stelle fest, dass ich den Augenblick herbeisehne, wenn sie mich freigeben und ich unter den Orangen wieder Atem holen kann. Jenna steht neben mir, vom Tanzen völlig erschöpft. Trotz ihrer stets spürbaren Verbitterung über ihre Gefangenschaft ist sie eine fantastische Tänzerin. Ob langsam oder schnell, ihr Körper bewegt sich wie eine Flamme oder wie eine Ballerina auf einer Spieldose. Ihre langen schlanken Glieder wiegen sich so natürlich wie eine Trauerweide im Wind. Sie lächelt unseren Ehemann an, wenn sie tanzt, und er wird rot und ist überwältigt von ihrer Schönheit. Doch ich weiß, was ihr Lächeln wirklich bedeutet. Ich weiß, warum
sie diesen Abend genießt. Weil seine tote Frau immer noch hier ist und weil er Qualen leidet – sie will ihn wissen lassen, dass dieser Schmerz niemals vergehen wird.
Ihr Lächeln ist ihre Rache.
Jetzt steht sie neben mir und pflückt eine Orange vom Zweig, die sie in den Händen dreht. »Ich glaube, wir kommen heute Nacht leicht davon.«
»Was meinst du damit?«, frage ich.
Sie macht eine Kopfbewegung dorthin, wo Cecily langsam in Lindens Armen tanzt. Das Strahlen ihrer weißen Zähne ist bis zu uns zu sehen. »Im Augenblick hält sie sein Herz gefangen«, sagt Jenna. »Er hat sie nicht eine Sekunde lang losgelassen.«
»Du hast recht«, sage ich.
Er hat all seine Tänze an Cecily vergeben. Die übrige Zeit hat er Jenna ehrfürchtig angestarrt. Mich hat er überhaupt nicht angesehen.
Jenna wird zum nächsten Tanz geholt. Mit ihrer Gewandtheit und ihrem bezaubernden Lächeln hat sie viele Bewunderer gewonnen. Ich bleibe allein zurück mit dem Punsch im Kristallglas. Eine kühle Brise fährt mir durchs Haar, und ich überlege, wo Rose die Krankheit wohl erwischt haben mag. War es dort, wo die Diener diskutieren, weil sie nicht genügend Huhn für diesen Anlass zubereitet haben? Oder wo Cecily und Linden, die sich vom Tanzboden davongestohlen haben, kichernd im hohen Gras liegen? Und wohin ist die verstreute Asche gefallen? Und was war das für Asche? Und was ist wirklich aus dem toten Kind von Linden und Rose geworden?
Als die Nacht vorrückt und die Schar der Gäste kleiner wird, setzen Jenna und ich uns ins Gras, während Adair
und Deidre uns die zerzausten Haare bürsten. Linden und Cecily sind nirgends zu sehen, auch nicht, als wir uns viel später davonstehlen, um schlafen zu gehen.
Am folgenden Tag stolpert Cecily irgendwann nach dem Mittagessen blass und benommen in die Bibliothek. Auf ihren Lippen liegt ein entrücktes Lächeln, das nicht weichen will, und ihr Haar ist völlig durcheinander. Wie ein Buschfeuer, das jede Menge Opfer gefordert hat.
Gabriel bringt den Tee und Cecily schaufelt wie üblich zu viel Zucker hinein. Sie redet nicht mit uns. Auf ihrem Gesicht zeichnen sich Kissenfalten ab, und sie zuckt zusammen, wenn sie die Beine bewegt.
»Das ist ein schöner Tag«, sagt sie schließlich, lange nachdem ich mich in meinen Sessel verzogen habe und während Jenna zwischen den Regalen auf und ab geht.
Irgendwas stimmt nicht mit ihr. Irgendwas stimmt ganz und gar nicht. Ihr üblicher Elan ist verflogen und ihre Stimme ist sanft wie ein Windspiel. Sie wirkt wie ein wilder Vogel, der gezähmt wurde und sein Gefängnis wie durch einen Nebel betrachtet, der Gefängnisse gar nicht so schlimm erscheinen lässt.
»Geht es dir auch gut?«, frage ich.
»Oh, ja«, sagt sie. Ihr Kopf neigt sich zur einen Seite, dann zur anderen und dann legt sie ihn auf den Tisch. Quer durch den Raum wirft Jenna mir einen Blick zu. Ihre Lippen bewegen sich nicht, aber ich verstehe, was sie mir sagen will. Cecily hat jetzt endlich von unserem Ehemann bekommen, was sie wollte. Und
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