Totentöchter - Die dritte Generation
das bedeutet, dass Linden Rose sicher in seinen Erinnerungen verstaut hat und bereit ist, die Betten seiner übrigen Frauen zu besuchen.
Cecily wirkt so klein und hilflos, so glücklich sie auch sein mag, dass ich sage: »Komm«, und ihr behutsam beim Aufstehen helfe. Sie hat nichts dagegen, sie schlingt sogar ihren kleinen Arm um meinen Rücken, als ich sie in ihr Zimmer bringe.
Linden ist ein Monster, denke ich. Er ist ein abscheulicher Mann. »Siehst du denn nicht, dass sie noch ein kleines Mädchen ist?«, murmele ich.
»Was?« Cecily zieht die Augenbrauen hoch.
»Nichts«, sage ich. »Wie fühlst du dich?«
Sie klettert in das Bett, das ungemacht ist und aussieht, als hätte sie es gerade erst verlassen. Als ihr Kopf das Kissen berührt, starrt sie mich mit trübem Blick an. »Fantastisch«, sagt sie.
Ich decke sie zu und bemerke dabei den kleinen Blutfleck auf dem Laken.
Eine Weile sitze ich bei ihr, während sie wieder einschläft. Ich lausche den Rotkehlchen, die in dem Baum unter ihrem Fenster nisten. Sie hat sie mir zeigen wollen, wie ein Kind, das nach einer Ausrede sucht, mit mir sprechen zu können. Ich bin nicht besonders nett zu ihr gewesen – oder fair. Sie kann nichts dafür, dass sie nichts mitbekommt, dass sie noch so jung ist. Sie kann nichts dafür, dass sie in einer Welt ohne Eltern aufgewachsen ist, in einem Waisenhaus, das ihr nur gestattete, entweder Braut oder Leiche zu werden. Sie weiß nicht, wie zerbrechlich sie ist, wie nah sie in diesem Lastwagen dem Tod war.
Aber ich weiß es. Ich streiche ihr eine wirre Strähne aus dem Gesicht und sage: »Träum süß.«
Das ist das Beste, was man sich erhoffen kann, an einem Ort wie diesem.
Ich bin so wütend auf Linden, dass ich seinen Anblick nicht ertrage. Er kommt in dieser Nacht in mein Zimmer und nähert sich meinem Bett, ohne zu fragen. Ich schlage die Laken nicht zurück und deshalb bleibt er stehen. Ich schalte das Licht an und tue so, als wäre ich gerade aufgewacht, obwohl ich ihn sogar erwartet habe.
»Hallo«, sagt er leise.
»Hallo«, sage ich und setze mich auf.
Er berührt den Rand der Matratze, setzt sich aber nicht. Könnte es sein, dass er auf eine Einladung wartet? Hat Cecily eine ausgesprochen? Jenna wird das nie tun. Wenn er sich uns nicht gewaltsam aufdrängen will, dann ist Cecily die Einzige, die ihn je in ihre Nähe lassen wird.
Er sagt: »Du hast wunderschön ausgesehen, gestern Abend im Orangenhain.«
»Ich hätte nicht gedacht, dass du mich bemerkt hast«, sage ich.
Auch jetzt sieht er mich nicht an. Er wirft einen Blick aus meinem Fenster, das sich nicht öffnen lässt. Der Wind hat wieder aufgefrischt und heult wie die Toten. Orangen und Rosen fliegen sicherlich von den Büschen und werden in der Luft zerfetzt.
»Darf ich ins Bett kommen?«, fragt er.
»Nein«, sage ich und falte die Decke ordentlich über meinen Schoß.
Er sieht mich an und hebt eine schmale Augenbraue. »Nein?«
»Nein«, bestätige ich. Ich will, dass es wütend klingt, aber irgendwie kommt es nicht richtig rüber. Zwischen uns herrscht angespanntes Schweigen, dann sage ich: »Aber danke, dass du gefragt hast.«
Er steht starr da und scheint zu überlegen, wo er mit seinen Hände hinsoll. Seine Pyjamahosen haben keine Taschen. »Wie wäre es dann mit einem Spaziergang?«, fragt er.
»Jetzt? Scheint eine kalte Nacht zu sein.« Bislang hat sich das Wetter in Florida als ziemlich seltsam erwiesen.
»Zieh einen Mantel an«, sagt er. »In ein paar Minuten treffen wir uns am Fahrstuhl.«
Nun ja, ich nehme an, gegen einen Spaziergang ist nichts einzuwenden. Ich gehe zu meinem Schrank und ziehe einen leichten Strickmantel über mein Nachthemd und schlüpfe in ein paar dicke Socken, in denen ich die Füße nur mit Mühe in die Schuhe zwängen kann.
Als ich Linden am Fahrstuhl treffe, bemerke ich, dass mein Mantel die feminine Version von seinem ist. Ein Zufall? Deidre – als hoffnungslose Romantikerin, die sie ist – könnte ihn speziell als Gegenstück zu seinem entworfen haben. Ich nehme an, sie möchte, dass ich ihn lieben lerne. Aber sie ist noch jung. Sie hat noch viele Jahre vor sich, in denen sie lernen kann, was wahre Liebe ist – oder zumindest, was nicht.
Der Fahrstuhl fährt nach unten, und ich werde von Bildern heimgesucht, in denen meine Mutter in ihrem wehenden Kleid herumwirbelt, mein Vater sie über seinen Arm nach hinten fallen lässt und Musik das Wohnzimmer erfüllt. Ihr wollt wissen, was wahre Liebe
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