Totentöchter - Die dritte Generation
nicht. Das ist seine Privatsache, die er wohl meint, für sich behalten zu wollen. Oder es ist einfach zu schmerzhaft.
»Wirst du sie verteilen?«, frage ich.
»Das habe ich«, sagt er. »Gestern Nacht nach der Party. Ich dachte, es wäre Zeit, Abschied zu nehmen.«
Nach seinem Stelldichein mit Cecily, vermute ich. Nicht einmal Cecilys Bewunderung kann seinen Herzschmerz lindern. Aber ich sage nichts dergleichen. Das ist jetzt nicht der richtige Zeitpunkt, um über Cecily zu reden. Stattdessen machen wir kehrt, Arm in Arm, Mann
und Frau, und gehen zurück zu dem riesigen, von Efeu berankten Gebäude. Ich denke an das Efeublatt, das ich in einem Liebesroman versteckt habe, der glücklich oder tragisch enden wird, und dabei frage ich mich die ganze Zeit, wessen Asche hier tatsächlich letzte Nacht verstreut wurde.
An den darauf folgenden Abenden lädt Linden uns alle drei ein, mit ihm zu speisen. Und die meisten Nächte verbringt er in meinem Bett. Wir machen nichts anderes als reden und schlafen. Er liegt unter der Decke und beobachtet, wie ich Lotion in meine Hände einmassiere, mein Haar bürste, die Gardinen zuziehe und meinen Abendtee trinke. Seine Gegenwart stört mich nicht besonders. Ich weiß, für Jenna wäre das zu viel, aber mir ist es lieber, wenn er Cecily in Ruhe lässt, weil sie ihn alles mit sich machen lassen würde. Dass sie am Morgen nach der Party so zerbrechlich wirkte, hat mir Sorgen gemacht. Ich weiß, sie ist eifersüchtig, weil er jetzt zu mir kommt, doch ich finde, dass sie das nichts angeht, und deshalb antworte ich auf keine ihrer Fragen. Aber Linden und ich berühren uns nicht mal, nur manchmal kann ich spüren, wie seine Finger in meinem Haar bis in meine Träume reichen.
Er will immer mit mir reden, bis ich völlig erschöpft bin. Gabriel bringt mir mein Frühstück jetzt zur gleichen Zeit wie meinen Schwesterfrauen, und er bringt auch Essen für Linden, der unvorhersagbare Dinge verlangt wie etwa eine Tasse Sirup oder Trauben, deren Stiele er beim Essen über die Lippen baumeln lässt. Gabriel hört auf, Junibeeren für mich zu verstecken, und ich vermisse sie. Ich vermisse es, mich mit ihm zu unterhalten. Uns
bieten sich nicht viele Gelegenheiten, einander auch nur anzusehen, denn Linden beginnt mich auch tagsüber zu Spaziergängen mitzunehmen.
An warmen Tagen holt er uns alle drei nach unten an den Pool. Jenna sonnt sich. Cecily macht Saltos vom Sprungbrett – mit Entzückensschreien, die an eine Kindheit und Freiheit erinnern, die sie nie haben wird. Ich verbringe viel von meiner Zeit unter Wasser, wo es Hologramme von Quallen und dem Meeresgrund gibt. Haie rasen auf mich zu und durch mich hindurch, sie bereiten den Weg für Schwärme von leuchtend gelben und orangefarbenen Fischen – und die Wale sind so groß wie der ganze Pool. Manchmal vergesse ich, dass nichts von alledem echt ist, tauche tiefer und tiefer, suche nach Atlantis und finde dann doch nur den Grund des Beckens.
Ganze Tage vergehen so. Und ich finde, es ist nett. Als wäre man frei. Als hätte man Schwestern. Sogar Jenna streckt ihren Zeh ins Wasser und bespritzt mich ein bisschen. Eines Nachmittags verschwören Cecily und ich uns gegen sie: Wir packen jede eins ihrer Fußgelenke und ziehen sie in den Pool. Jenna schreit empört auf und klammert sich am Rand fest, wobei sie schimpft, wie furchtbar wir sind und wie sehr sie uns hasst. Doch schließlich kommt sie drüber hinweg. Sie und ich halten uns unter Wasser an den Händen und versuchen holografische Guppys zu fangen.
Linden schwimmt nicht, doch er fragt uns manchmal, wie uns die Hologramme gefallen. Er ist blass und sieht dünn aus in seinen Badehosen, sitzt auf einem feuchten Handtuch und liest Architekturzeitschriften. Ich glaube, das bedeutet, er trifft Vorbereitungen, wieder zu arbeiten.
Vielleicht verlässt er dann den Besitz. Vielleicht wird er auf eine Party gehen. Mit mir an seinem Arm. Ich weiß, dass meine Flucht sorgfältig geplant sein muss und dass ich nicht einfach an meinem ersten Abend in der Menge untertauchen kann. Aber vielleicht wird die Veranstaltung im Fernsehen übertragen. Vielleicht wird Rowan zusehen, und dann weiß er, dass ich lebe.
Eines Nachmittags laufe ich nach drinnen, um mir noch ein Handtuch aus dem Schrank neben der Tür zu holen, und stoße beinah mit Gabriel zusammen, der ein Tablett mit langstieligen Orangensaftgläsern trägt.
»Verzeihung«, sage ich.
»Klingt, als ob ihr euch amüsiert«, sagt er und
Weitere Kostenlose Bücher