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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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allen die Freiheit gewährt, in Haus und Garten herumzustreifen. Wenn ich allein bin, halte ich Ausschau nach dem Fahrweg, der zwischen den Bäumen hindurch nach draußen führen muss … aber ich kann nicht mal einen Pfad finden. Hausprinzipal Vaughn verlässt den Besitz manchmal, um in seinem Krankenhaus zu arbeiten, aber der Rasen muss irgendwie gegen Reifenspuren behandelt worden sein, denn ich habe noch nie welche gesehen, die aus der Garage hinaus führen. Gabriel hat in Zusammenhang mit diesem Ort von Ewigkeit gesprochen, und langsam glaube ich, er hat recht. Kein Anfang, kein Ende. Ganz gleich, wohin ich auch gehe, ich komme irgendwie immer wieder zum Haus zurück.
    Mein Vater hat mir immer Geschichten von Volksfesten erzählt. Er sagte, diese Feste wurden gefeiert, wenn es nichts zu feiern gab. Als er ein Kind war, konnte er auf ein Volksfest gehen, zehn Dollar bezahlen und durch ein Haus voller Spiegel laufen. Das hat er oft beschrieben: Es gab Zerrspiegel, die ihn zu groß oder zu klein machten; gegenüberliegende Spiegel, die wie eine unendliche Anzahl von Toren wirkten. Er sagte, das Haus schien immer
so, als habe es kein Ende, als ginge es unendlich weiter, doch von außen war es in Wirklichkeit nicht größer als ein Geräteschuppen. Die Kunst war, das Blendwerk zu durchschauen – der Ausgang war nämlich nie so weit weg, wie man glaubte.
    Erst jetzt begreife ich, was er damit sagen wollte. Ich wandere im Rosengarten herum, auf den Tennisplätzen, im Labyrinth zwischen den Hecken und versuche, seinen Geist heraufzubeschwören. Ich stelle mir vor, wie er auf mich herunterblickt und beobachtet, wie mein kleines Fleckchen Körper ziellos herumsucht, während der Ausgang die ganze Zeit zum Greifen nahe ist.
    »Hilf mir, herauszufinden«, sage ich zu ihm. Die einzige Antwort, die ich erhalte, ist ein Windstoß, der durchs hohe Gras fegt, als ich im Orangenhain stehe. Im Rätselraten bin ich noch nie gut gewesen. Mein Bruder war es, der beim ersten Versuch den Zauberwürfel lösen konnte. Er ist derjenige, der sich für die wissenschaftliche Seite der Dinge interessiert hat, der unserem Vater Fragen gestellt hat über die zerstörten Länder, während ich mit dem Bewundern der Bilder beschäftigt war.
    Ich stelle mir vor, wie mein Bruder zwischen den Orangenbäumen auftaucht. »Du hättest niemals auf diese Annonce antworten sollen. Du hörst nie auf mich«, würde er sagen. »Was soll ich nur mit dir machen?« Er würde meine Hand nehmen. Wir würden nach Hause gehen.
    »Rowan …«, sein Name bricht mit einer Welle heißer Tränen aus mir heraus. Keine Antwort, nur die frische Brise. Er kommt nicht, es gibt keinen Pfad auf Erden, der ihn zu mir führen könnte.

    Als meine vergeblichen Mühen mich allzu mutlos werden lassen, mache ich eine Pause und widme mich den Dingen, die mein Gefängnis einigermaßen angenehm machen. Ich tauche in das künstliche Meer im Pool. Ein Diener zeigt mir, wie die Steuerung funktioniert, mit der man die Hologramme ändert, und ich kann zwischen arktischen Gletschern schwimmen oder die gesunkene Titanic erforschen. Ich schlängele mich an der Seite großer Tümmler durchs Wasser. Und danach, klitschnass und nach Chlor riechend, lege ich mich mit Jenna ins Gras und nippe farbenfrohe Getränke, die mit Ananasscheiben garniert sind. Wir spielen Minigolf auf einem Platz, der für Linden angelegt worden ist, als er noch ein Kind war – oder vielleicht schon für seinen toten Bruder vor ihm. Wir zählen keine Punkte und kämpfen mit vereinten Kräften gegen den sich drehenden Clown am letzten Loch. Wir spielen Tennis, geben aber auf und schlagen stattdessen Tennisbälle gegen eine Wand, denn anscheinend ist das alles, worin wir gut sind.
    In der Küche kann ich so viele Junibeeren essen, wie ich will. Ich sitze auf dem Küchentresen, helfe Gabriel beim Kartoffelschälen und höre den Köchen zu, wenn sie über das Wetter reden und darüber, dass sie der verzogenen kleinen Göre von Braut am liebsten eine alte Socke auftischen würden. Gabriel, gutmütig, wie er ist, findet auch, dass Cecily sich in letzter Zeit besonders schlimm benimmt. Irgendjemand schlägt vor, ihr eine Ratte zu Mittag zu braten, und die Chefköchin sagt: »Hüte deine Zunge, in meiner Küche gibt es keine Ratten.«
    Linden hat das Gefühl, Jenna und mich zu vernachlässigen,
und er fragt, ob wir uns etwas wünschen – egal, was. Beinahe bitte ich um ein Fass Junibeeren, denn ich habe das Küchenpersonal

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