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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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Cecilys Dienerin. Sie ist völlig außer sich vor Aufregung. »Ratet, was ich zu erzählen habe«, sagt sie. »Das erratet ihr nie. Cecily bekommt ein Baby!«
     
    In den folgenden Wochen widmet Linden so viel seiner Zeit Cecily, dass ich wieder zur unsichtbaren Braut werde. Sein Mangel an Aufmerksamkeit ist schlecht für meinen Fluchtplan, das weiß ich. Trotzdem fühle ich mich ohne seine dauernde Anwesenheit wie von einer Last befreit, zumindest fürs Erste. Wenn Gabriel mir das Frühstück aufs Zimmer bringt, haben wir wieder Gelegenheit, miteinander zu reden. Er ist der einzige Diener, der auf der Etage der Frauen das Essen serviert, daher bringt er mir mein Frühstück wieder früher, wenn meine Schwesterfrauen noch schlafen. Im Laufe ihrer Schwangerschaft werden Cecilys Schlafrhythmen allerdings immer unregelmäßiger.
    Die Zeit mit Gabriel ist nicht zu vergleichen mit der Zeit, die ich obligatorisch mit meinem Ehemann verbringe. Gabriel gegenüber kann ich ehrlich sein. Ich kann ihm erzählen, dass ich Manhattan vermisse, was ich einst für den größten Ort der Welt gehalten habe und was nun so fern zu sein scheint wie ein Stern am Himmel.
    »Es hat einmal mehr Stadtviertel gegeben, Brooklyn, glaube ich, Queens und ein paar andere. Aber als die Leuchttürme und die neuen Häfen dazugekommen sind, haben sie alles Manhattan genannt und die Bezirke nach ihrer Nutzung bezeichnet. Meiner ist Fabrikation und Spedition. Im Westen ist Fischerei und im Osten hauptsächlich Wohnen.«
    »Warum?«, fragt Gabriel und beißt in ein Stück Toast
von meinem Frühstückstablett. Er sitzt auf der Ottomane am Fenster und die Morgensonne lässt das Blau seiner Augen strahlen.
    »Weiß ich nicht.« Ich wälze mich auf den Bauch und lege das Kinn auf die Arme. »Vielleicht war es zu verwirrend, all diese Bezirke aufrechtzuerhalten. Das sind hauptsächlich Industriegebiete, abgesehen von den Wohnvierteln. Vielleicht war es dem Präsidenten zu viel, sich alle zu merken.«
    »Klingt erdrückend«, sagt er.
    »Ein bisschen«, gebe ich zu, »aber die Gebäude sind Hunderte von Jahren alt, einige jedenfalls. Als ich klein war, habe ich immer so getan, als würde ich zur Haustür hinaus und in die Vergangenheit treten. Ich habe immer so getan …« Ich verstumme. Mit dem Finger fahre ich am Saum meiner Decke entlang.
    »Was?«, fragt Gabriel und lehnt sich näher zu mir.
    »Ich habe es bisher noch nie laut ausgesprochen«, sage ich. Eben erst wird es mir bewusst. »Aber ich habe immer so getan, als würde ich hinausgehen ins einundzwanzigste Jahrhundert, wo mir Leute aller Altersgruppen begegnen, wo ich erwachsen werden würde und genauso sein könnte wie sie.«
    Eine lange Stille entsteht, und ich blicke weiterhin auf den Saum, denn mit einem Mal ist es schwierig geworden, Gabriel anzusehen. Aber ich spüre, dass er mich ansieht. Und nach ein paar Sekunden tritt er an mein Bett, und ich fühle, wie die Matratze unter seinem Gewicht ein wenig nachgibt.
    »Vergiss es«, sage ich und versuche ein kleines Lachen zustande zu bringen. »Es ist dumm.«

    »Nein«, sagt er. »Ist es nicht.«
    Auf der Decke folgt sein Finger meinem und zieht Linien hoch und runter, wobei sich unsere Hände nicht berühren. Wärme durchflutet mich und ich muss lächeln. Für mich wird es kein Erwachsensein geben, das weiß ich, und es ist auch schon lange her, dass ich so getan habe, als könnte es anders sein. Diese Fantasie konnte ich nie mit meinen Eltern teilen, es hätte sie nur traurig gemacht. Auch nicht mit meinem Bruder, er hätte sie sinnlos genannt. Deshalb habe ich diese Vorstellung für mich behalten und mich dazu gezwungen, ihr zu entwachsen. Doch jetzt, während ich Gabriels Hand beobachte, die sich neben meiner bewegt wie in einem Spiel mit einem bestimmten Rhythmus und System, lasse ich sie wieder aufleben. Eines Tages werde ich aus diesem Haus treten und da wird die Welt sein. Eine gesunde, florierende Welt mit einem wunderschönen Weg zum Rest meines langen Lebens.
    »Du solltest sie sehen«, sage ich. »Die Stadt, meine ich.«
    Seine Stimme ist leise. »Das würde ich gern.«
    Es klopft an der geschlossenen Tür und Cecily fragt: »Ist Linden da drinnen bei dir? Er sollte mir heißen Kakao bringen.«
    »Nein«, sage ich.
    »Aber ich höre Stimmen«, sagt sie. »Wer ist da bei dir?«
    Gabriel steht auf und ich streiche die Decke glatt, während er mein Frühstückstablett vom Frisiertisch nimmt.
    »Frag in der Küche nach«, sage ich.

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