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Totentöchter - Die dritte Generation

Totentöchter - Die dritte Generation

Titel: Totentöchter - Die dritte Generation Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: cbt Verlag: Verlagsgruppe Random House GmbH
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nie gesehen.
    Vaughn kommt mit einem Trupp Diener und einem keuchenden Linden im Schlepp ins Zimmer gerannt und sie übernehmen. Ich ziehe mich zurück, damit Linden seinen rechtmäßigen Platz neben ihr einnehmen und ihre Hand halten kann. Die Diener haben Wagen voll medizinischem Gerät herangeschafft, und Vaughn hilft Cecily, sich aufzusetzen.
    »So ist es gut, braves Mädchen«, gurrt er und rammt ihr eine riesige Nadel ins Rückgrat. Mir wird bei dem Anblick schwindelig, aber aus irgendeinem Grund überzieht eine unheimliche Ruhe Cecilys Gesicht, als die Flüssigkeit injiziert ist. Ich weiche zurück, weiter und weiter, bis ich in der Tür stehe.
    »Das ist deine Chance«, flüstert Jenna.
    Sie hat recht. In dieser Hektik könnte ich wahrscheinlich das Haus anzünden und keiner würde es bemerken. Das ist der ideale Zeitpunkt, in den Keller zu gehen und Gabriel zu suchen. Aber Cecily ist so klein in dem blutigen Meer aus Schläuchen und Maschinen und weißen
Gummihandschuhen. Sie keucht und stöhnt, und plötzlich habe ich schreckliche Angst, sie könnte sterben.
    »Ich kann nicht«, sage ich.
    »Ich passe auf sie auf«, sagt Jenna. »Ich sorge dafür, dass nichts passiert.«
    Das würde sie tun, das weiß ich. Ich vertraue ihr. Aber sie kennt die Geschichte von Roses Baby nicht. Dass bei ihrer Geburt nur Vaughn dabei war, der sich um sie gekümmert hat, und was er Schreckliches getan hat, als sie zu betäubt war, um ihn davon abzuhalten. Nach dem Hurrikan hat er etwas Ähnliches mit mir gemacht. Am gefährlichsten ist er, wenn Lindens Ehefrauen sich nicht wehren können. Und ich werde diesen Raum nicht verlassen, solange seine behandschuhten Hände Cecilys Nachthemd hochhalten.
    Noch etwas anderes trägt dazu bei, dass ich wie angewurzelt stehen bleibe. Cecily ist eine Schwester für mich geworden, und ich habe das Gefühl, es ist meine Pflicht, sie zu beschützen, so wie mein Bruder und ich einander beschützt haben.
    Es kommt mir vor, als ob es stundenlang so geht. Manchmal schreit Cecily und strampelt mit den Beinen, manchmal driftet sie weg oder kaut Eisstückchen, die Elle ihr aus einem Pappbecher in den Mund steckt. Einmal bittet sie mich, ihr eine Geschichte von den Zwillingen zu erzählen. Ich will die Geschichten meines Lebens aber lieber nicht mit einem Raum voller Diener und Linden und Vaughn teilen, deshalb erzähle ich ihr stattdessen eine Geschichte von meiner Mutter, die ich ausschmücke, wenn ich Einzelheiten nicht weiß.
    Ich erzähle ihr von einem Viertel, wo alle Drachen
steigen ließen. Dort gab es auch Hängegleiter, riesige Drachen, mit denen Leute fliegen konnten. Man stellte sich dazu auf einen erhöhten Platz, eine Brücke etwa oder das Dach eines sehr hohen Gebäudes, dann sprang man hinunter und der Hängegleiter wurde vom Wind erfasst. Man flog.
    Cecily seufzt versonnen und sagt: »Das klingt zauberhaft.«
    »Das war es«, sage ich. Zu allem anderen vermisse ich jetzt auch noch meine Mutter. Sie würde wissen, was zu tun wäre. Während ihrer Schichten wurden so viele Babys geboren. Junge schwangere Mütter spendeten ihre Kinder den Versuchslaboren. Dafür erhielten sie Schwangerschaftsvorsorge und waren ein paar Monate weg von der Straße. Und meine Mutter war immer so achtsam mit den Neugeborenen. Sie wollte nichts weiter als ein Gegenmittel finden, damit die neuen Generationen ein normales Leben in voller Länge leben konnten. Als ich klein war, habe ich geglaubt, sie und mein Vater würden es schaffen. Aber nachdem sie in dieser Explosion getötet worden waren, sagte Rowan, es wäre aussichtslos gewesen. Er sagte, diese elende Welt sei nicht zu retten, und ich habe ihm geglaubt. Und jetzt bin ich im Begriff, Zeuge der Geburt einer neuen Generation zu werden – und ich weiß nicht, was ich glauben soll. Ich weiß nur, ich will, dass es lebt.
    Cecilys Körper wird von einem weiteren Krampf geschüttelt, ihr Rücken krümmt sich auf der Matratze. Ich halte eine Hand, Linden die andere – und einen seltsamen Moment lang hab ich das Gefühl, sie wäre unser Kind. Während meiner Drachengeschichte habe ich bemerkt,
dass er mich die ganze Zeit voll Dankbarkeit angesehen hat.
    Jetzt gibt sie ein schreckliches kreischendes, wimmerndes Geräusch von sich. Ihre Lippe zittert. Linden versucht, sie zu beruhigen, aber ihr Kopf ruckt zur Seite, als er sie küssen will, und sie reagiert mit Gurgeln und Schreien auf unsere sanften Stimmen.
    Ich spüre, dass mir selbst die Tränen kommen, als

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