Totentöchter - Die dritte Generation
Vaughns Diagnose und der schließe ich mich an. Dennoch habe ich ein ungutes Gefühl, als sie die Transfusion bekommt. Während sie sich erholt, lege ich mich neben sie. Langsam kehrt das Blut in ihre Wangen zurück, und ich frage mich, wessen Blut jetzt wohl in ihr zirkuliert. Vielleicht das von Rose. Oder das eines nicht eben willigen Dieners. Ob Vaughn, den ich zu so Finsterem und Zerstörerischem für fähig halte, seine Fähigkeiten, zu heilen, wohl je wahrhaft einsetzt?
Aber im Laufe der Tage bessert sich Cecilys Zustand.
Wenn das Baby weint, bringt Linden es an ihr Bett. Schläfrig knöpft sie ihr Nachthemd auf und hält ihren Sohn an die Brust. Vom Flur aus schaue ich in ihr Zimmer und sehe, wie Linden ihr beim Wachbleiben hilft. Er spricht leise mit ihr, er streicht ihr das strähnige rote Haar aus dem Gesicht und seine Worte bringen sie zum Lächeln. Sie sind perfekt füreinander, denke ich, so naiv und behütet, so zufrieden mit dem kleinen Leben, das sie miteinander aufgebaut haben. Vielleicht sollte ich aufhören, meine Zwillingsgeschichten zu erzählen. Vielleicht ist es für die beiden besser, zu vergessen, dass es außerhalb dieser Villa die Wirklichkeit gibt. Dinge, die sich nicht auflösen, Dinge, die greifbarer sind als die Haie und Delfine im Pool und die sich drehenden Häuser auf Lindens Messen. Und es ist besser, dass ihr Sohn niemals erfährt, dass es da draußen überhaupt eine Welt gibt, weil er sie niemals zu sehen kriegen wird.
Cecily sieht auf und bemerkt, dass ich in der Tür stehe. Sie winkt mich zu sich, aber ich ziehe mich in den Flur zurück, gebe vor, mich irgendwo anders nützlich machen zu können. Ich will kein Eindringling in ihrer Ehe sein. Einen Ehemann mit zwei anderen Frauen zu teilen, ist nicht schwierig; mit Linden verheiratet zu sein, bedeutet für jede von uns etwas anderes. Für Jenna ist Lindens herrschaftliches Haus nichts weiter als ein luxuriöser Ort zum Sterben. Für Cecily ist ihre Ehe eine Art Partnerschaft, die aus »Ich liebe dichs« und Kindern besteht. Für mich ist sie eine Lüge. Und solange ich die drei Ehen auseinander- und mich an meinen Plan halten kann, wird es leichter sein, wegzugehen. Leichter, mir einzureden,
dass sie schon zurechtkommen werden, wenn ich weg bin.
Ich bin glücklich, als es Cecily so gut geht, dass sie aufstehen kann. Ich folge ihr ins Wohnzimmer und beobachte sie, wie sie sich ans Keyboard setzt und anfängt zu spielen. Ihre Musik lässt das Hologramm lebendig werden – wie ein schwebender Fernsehschirm. Ein grünes Feld, gesprenkelt mit Mohnblüten, und ein blauer Himmel, über den weiße Wolken ziehen. Das ist die Kopie eines Gemäldes, das ich in einem der Bibliotheksbücher gesehen habe, da bin ich sicher. Irgendetwas Impressionistisches, das der Künstler zu Anfang seines langsamen Abgleitens in den Wahnsinn gemalt hat.
Das Baby liegt auf dem Fußboden und starrt nach oben, die Lichter der Illusion flackern über seinem Gesicht. Der Wind peitscht das Gras und den Mohn und die Büsche in der Ferne mal in diese, mal in jene Richtung, bis alles ein mit Grau überzogener Wirrwarr aus Farben ist. Ein Delirium. Verschmierte nasse Farbe.
Cecily ist ganz in sich versunken. Ihre Augen sind geschlossen. Die Musik strömt aus ihren Fingern. Ich konzentriere mich auf ihr junges Gesicht, ihren kleinen, etwas offen stehenden Mund und die feinen Wimpern. Die Farben ihres Liedes erreichen sie nicht, wo sie über den Tasten schwebend sitzt, und ich glaube nicht, dass die Illusion ihr etwas bedeutet. Sie ist das Echteste in diesem Raum.
Ihr Sohn verzieht unsicher das Gesicht und windet sich hin und her. Er weiß nicht, was er von all der Herrlichkeit halten soll. Während er heranwächst, wird er viele Illusionen sehen. Er wird sehen, wie Bilder zum Leben
erwachen, wenn die Musik für ihn spielt, und er wird sehen, wie sich die Häuser seines Vaters drehen, er wird zwischen Schwärmen von Guppys und dem Weißen Hai im Schwimmbecken tauchen. Aber ich glaube nicht, dass er je erfahren wird, wie der Ozean um seine Knöchel schwappt, dass er je eine Angel auswerfen oder ein eigenes Haus besitzen wird.
Die Musik verhallt, der Wind legt sich, die Illusion fällt in sich zusammen und erstirbt.
Cecily sagt: »Ich wünschte, wir hätten ein echtes Klavier. Sogar das schäbige Waisenhaus hatte ein echtes Klavier.«
Jenna steht in der Tür – Mund und Hand voll geschälter Pistazien – und sagt: »Echt ist an diesem Ort ein
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