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Totentrickser: Roman (German Edition)

Totentrickser: Roman (German Edition)

Titel: Totentrickser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Oldenburg
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wir der Einfachheit halber, ich bin eine geheimnisvolle Stimme in deinem Kopf. Wir müssen die Dinge nicht unnötig verkomplizieren.
    Und was willst du von mir?
    Wenn du gerade Zeit hast, würde ich mich gerne über eine Episode aus deiner Vergangenheit mit dir unterhalten.
    Wie in einer Psychoanalyse?
    Naja, sozusagen. Es geht um …
    Die Geschichte, wie ich in meiner ersten Barbarenschlacht mitgekämpft und ganz allein fünfzig feindliche Steinschleuderer außer Gefecht gesetzt hab?
    Nein, ich dachte da eher an …
    Damals, als ich Tzraknakrul, den Blutschamanen, in seiner Schreckenshöhle besiegt hab und mit seinem abgeschlagenen Kopf ins Dorf zurückgekehrt bin und mir dann alle zugejubelt haben?
    Nein. Ich dachte mehr an die Geschichte mit den roten Schuhen.
    Bolgur errötete und blieb stehen.
    Nein! Nicht die Geschichte mit den roten Schuhen!, protestierte er.
    Doch, flüsterte die Stimme, da musst du jetzt durch.
    Die Geschichte von Bolgur und …

    Verschwinde aus meinem Kopf!, wehrte sich Bolgur. Ich hau dich mit meiner Keule, wenn du das mit den roten Schuhen erzählst!
    Das Risiko gehe ich ein, sagte die Stimme. Außerdem dürfte das mit der Keule wohl ein Eigentor werden.
    Die Geschichte von Bolgur und den roten Schuhen
    Eines Tages vor langer Zeit, Bolgur ging damals in die zweite Klasse der Barbarengrundschule, war er mit einem neuen Paar Schuhe in der Schule erschienen, das er sich am Vortag beim Einkaufen mit seiner Mutter ausgesucht hatte – sie waren glänzend knallrot und hatten das Bild eines kleinen Einhornponys an den Seiten. Als er sie im Regal gesehen hatte, war ihm sofort klar gewesen: Es mussten genau die sein, keine anderen.
    Die Oger-Verkäuferin hatte zwar ein kritisches Gesicht gemacht und stattdessen ein anderes Paar Stiefel hervorgeholt, mit dem Hinweis, diese Schuhe seien bei den Jungs seines Alters sehr beliebt, wobei sie » Jungs « besonders betont hatte, doch Bolgurs Mutter hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: Burli, das musst du selbst entscheiden. Wenn du diese Schuhe haben willst, dann bekommst du sie auch, die und keine anderen.
    Stolz – und der Bewunderung seiner Mitschüler gewiss – marschierte er am nächsten Tag in der Pause mit seinen auffälligen neuen Tretern über den Schulhof und wartete auf die ersten neidvollen Kommentare.
    Er hatte jedoch nicht mit Norgul gerechnet.
    Norgul war der einzige Ogerjunge auf der Schule, der Bolgur an Körpergröße und –masse übertraf, wenn auch nicht gerade an Hirnschmalz.
    Was Letzteres anging, war Norgul weit entfernt davon, Klassenprimus zu sein, ja es reichte bei ihm nicht mal, um sich als Schlusslicht zu qualifizieren. Er war eher so einer, der bestenfalls gerade noch rechtzeitig kommt, um das Schlusslicht des längst abgefahrenen Zuges hinter der nächsten Biegung verschwinden zu sehen.
    Um seine geistigen Defizite zu kompensieren, griff er auf ein bei Leuten seines Schlages stets beliebtes Mittel zurück: das Herumhacken auf Schwächeren.
    Bolgur, schon damals ein im Entstehen begriffenes Muskelgebirge, passte zwar normalerweise nicht in Norguls übliches Opferschema, aber wie er nun strahlend mit seinen roten Einhornponyschuhen daherkam, bot er einfach eine zu dankbare Gelegenheit, als dass ein Schulhoftyrann, der etwas auf sich hielt, sie sich entgehen lassen konnte.
    Grinsend baute sich Norgul vor ihm auf, blickte an ihm hinab und brach in ein schallendes Gelächter aus.
    »Das ja sind Mädchenschuhe!«, rief er so laut, dass alles zusammenlief und sich um die beiden versammelte. »Bolgur ein Mädchen ist!« (Norgul sprach nicht etwa mit einem Akzent, der zum Beispiel auf einen Migrationshintergrund zurückzuführen gewesen wäre, sondern hatte einfach nur ein sehr eigenwilliges Verständnis von Grammatik).
    Bald hallte der Schulhof von Gelächter wider, und ein ganzer Chor von Stimmen sang den satzbautechnisch zwar nicht ganz korrekten, dafür aber umso eingängigeren Slogan: »Bolgur ein Mädchen ist! Bolgur ein Mädchen ist!«
    Bolgur wurde so rot wie seine neuen Schuhe, rannte davon und versteckte sich in einer Ecke, bis die Schule vorbei war und er nach Hause schleichen durfte.
    Den ganzen Nachmittag bekniete Bolgur seine Mutter, mit ihm in das Schuhgeschäft zu fahren und die Schuhe umzutauschen.
    Schließlich ließ sie sich erweichen, und auch die Verkäuferin erklärte sich bereit, die roten Schuhe gegen die Stiefel einzutauschen, die bei den anderen Jungs in Bolgurs Alter so beliebt

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