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Totentrickser: Roman (German Edition)

Totentrickser: Roman (German Edition)

Titel: Totentrickser: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jan Oldenburg
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bunten Mosaikfenster fiel ein mildes Licht, das sich über dem Hauptaltar zu einem breiten Strahl verdichtete, als würde Luhm (der Einzige, Echte, Wahre und Authentische) höchstpersönlich für die stimmige Beleuchtung in seinem Tempel sorgen.
    Angespannt lauschend, jederzeit auf einen Angriff aus dem Hinterhalt vorbereitet, blieb Falfnin stehen und brachte seine verborgenen Dolche in Position.
    Nichts regte sich, alles blieb still.
    Doch plötzlich erhob sich eine einzelne Stimme. Sie drohte nicht oder schrie, war auch nicht rau oder hasserfüllt, sondern – sie sang.
    Eine einzelne, kristallklare Kinderstimme.
    Der Meisterdieb zuckte zusammen, so unerwartet traf ihn dieser Klang, der nun ätherisch in dem Kirchenschiff aufstieg, so wie eine weiße Taube gen Himmel steigt.
    Die Worte, die gesungen wurden, waren ihm zwar fremd, aber es konnte kein Zweifel bestehen, dass sie von Gnade und Erlösung handelten, vielleicht auch von Unschuld.
    Weitere Stimmen – ein ganzer Chor von Kinderstimmen – gesellten sich zu der ersten hinzu und schwebten als vollkommenes Gewebe himmlischer Harmonien majestätisch durch den geweihten Raum.
    Dann brach der Gesang plötzlich ab.
    Falfnin hörte Schritte hallen, geflüsterte Satzfetzen, eine Tür knallte zu, dann wurde es wieder still.
    Der Meisterdieb zog sich in eine dunkle Nische zurück und wartete ab, doch nichts regte sich.
    Als er instinktiv den Kopf wandte, sah er das kleine Mädchen, das ein paar Meter entfernt von ihm stand und den Blick ihrer eisblauen Augen auf ihn richtete.
    Ihr Gesicht war wie Porzellan, und ihre wallenden Locken so goldblond wie die der Engel, die von den Deckengemälden der Kirche herabsahen.
    Falfnin entspannte sich.
    »Oh, hallo«, sagte er überrascht. »Hast du eben so schön gesungen?«
    »Ja.«
    Das Mädchen trat einen Schritt auf ihn zu.
    »Und jetzt werde ich dich töten.«
    Sie zog einen Dolch unter ihrer schwarzen Schuluniform hervor.
    Falfnin schnappte nach Luft.
    »Moment mal …«, ächzte er und stolperte rückwärts. »Darüber sollten lieber noch mal reden.«
    »Ich will aber nicht reden«, erwiderte das Mädchen. Mit wenigen, athletisch federnden Schritten kam sie heran und führte einen Dolchstoß gegen ihn, der Falfnin mit tödlicher Präzision das Herz durchbohrt hätte, wäre er nicht blitzschnell zur Seite ausgewichen.
    Hastig zurückweichend vergrößerte der Meisterdieb den Abstand zwischen sich und der Angreiferin, die sich jedoch nicht beirren ließ und weiter auf ihn eindrang.
    Blitzschnell und von allen Seiten stieß die Klinge heran und verlangte seinen Reflexen das Äußerste ab, wenn er nicht als eines der vielen Gewaltopfer von Verderbnis enden wollte, durchlöcherter als ein vielversprechendes Gebirgsmassiv, unter dem eine geschäftstüchtige Zwergensippe reichhaltige Goldvorkommen vermutet.
    Nach einer besonders virtuosen Serie von Stößen, Finten und Ausfällen, die ihn gegen die Kirchenbänke zurückdrängte, vermochte er sich nur noch zu retten, indem er im letzten Augenblick ein Hohlkreuz machte und den Kopf zurückbog.
    Wie in Zeitlupe sah er den Dolch haarscharf an seiner Kehle vorbeifahren, so dass die Spitze fast seinen Hals ritzte. Weiches Dämmerlicht glänzte silbern auf der Klinge, und Falfnin glaubte ein hohes schwingendes Geräusch zu hören, das etwa dem Klang entsprach, der entsteht, wenn man mit dem Finger über den feuchten Rand eines Glases streicht.
    In einer fließenden Bewegung verwandelte er sein Ausweichmanöver in einen Rückwärtssalto, mit dem er über drei Bankreihen hinwegsetzte und beidbeinig auf der hölzernen Lehne der vierten landete.
    »Bravo!«
    Lautes Händeklatschen hallte durch das Kirchenschiff.
    Schwer atmend hob Falfnin den Blick zu der Empore, von der der Applaus gekommen war.
    Dort oben, die Arme auf das Geländer gestützt, lehnte derjenige, den der Meisterdieb seit dem Park verfolgt hatte, der Schatten aus seiner Vergangenheit.
    »Rinalf!«, stieß Falfnin wütend hervor.
    »Lang ist’s her«, entgegnete Rinalf spöttisch. »Um so mehr freue ich mich zu sehen, dass du offenbar noch nicht alles verlernt hast, was wir dir damals beigebracht haben.«
    Seit ihrer letzten, weit zurückliegenden Begegnung war der einäugige Meuchelmörder noch hagerer geworden, und sein Haar, das er zu einem langen Pferdeschwanz zusammengebunden trug, hatte die Farbe grauen Stahls angenommen.
    »Natürlich hat sich auf dem Gebiet der professionellen Personenbeseitigung seitdem so

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