Totentrickser: Roman (German Edition)
siehst ja schrecklich aus«, begrüßte ihn die Gnomenzauberin, erbarmungslos ehrlich. »Eine harte Nacht gehabt?«
Falfnin winkte gequält ab. »Kannst du mir nachher noch mal mit deinem Frostspruch ein paar Eiswürfel machen?«, entgegnete er heiser.
»Hast du Kopfschmerzen?«, fragte Bolgur schmatzend.
»Ich glaub nicht, dass er das Eis für seinen Kopf braucht«, vermutete Selphyne. »Könnte es sein, dass ein Zusammenhang zwischen deiner morgendlichen Konditionsschwäche und der hübschen jungen Novizin von gestern Abend besteht?«
»Wenn sie nach mir fragt, sagt ihr bloß nicht, wo ich bin!«, flehte Falfnin mit einem Aufblitzen von Panik in den Augen. »Oder sagt ihr, ich bin tot. Noch so eine Nacht überlebe ich nicht!«
»Einen gesegneten Morgen miteinander!«
Sie wandten sich der Tür zu.
»Brom?«, fragte Selphyne, die Augenbrauen hebend. »Bist du das? Du siehst so … anders aus.«
»Ich habe meinen Bart gestutzt und mir das Haupthaar gekämmt«, entgegnete der Zwergenkrieger. »Und ja: Auch ich trage nun eine Kutte.«
Er setzte sich an den Tisch und füllte sich eine Schüssel mit dem unidentifizierbaren Nahrungsbrei, der ihnen schon gestern Abend serviert worden war.
»Alles in Ordnung mit dir?«, fragte Selphyne zweifelnd.
»Hab mich nie besser gefühlt! Oh, das hätt ich fast vergessen.«
Brom faltete die Hände und murmelte andächtig in seinen penibel gepflegten Bart.
»Was … machst du da?«
»Ich habe Yrth für die Gaben gedankt, die er uns bescheret hat«, erklärte Brom, nachdem er sein Gebet beendet hatte. »Gestern Nacht hatte ich beim Lesen des Buches Yrth ein Epiphänomen.«
»Du meinst eine Epiphanie «, verbesserte Bolgur. »Als Epiphänomen bezeichnet man eine aus bestimmten Kausalzusammenhängen resultierende Randerscheinung, der selbst innerhalb dieser Zusammenhänge keinerlei kausale Relevanz zukommt.«
»Verstehst du eigentlich selbst, was du gerade gesagt hast?«, fragte Falfnin, während er angeekelt den zähen Brei von seinem Löffel in die Schüssel zurücktropfen ließ.
»Jedenfalls habe ich erkannt«, fuhr Brom fort, »dass mein Leben bisher eines tieferen Sinnes ermangelt hat. Und das ewige Licht Yrths ist über mich gekommen, und plötzlich sah ich den Weg klar und deutlich vor mir.«
»Und der führt nicht wie sonst zur nächsten billigen Fuselkaschemme?«, fragte Selphyne.
»Die Zeit der billigen Fuselkaschemmen ist vorbei«, behauptete Brom. »Von nun an werde ich ein yrthgefälliges Leben der Demut und Enthaltsamkeit führen.«
»Ich hoffe, du nimmst es mir nicht übel, wenn ich diesbezüglich ernste Zweifel anmelde.«
Akolyth Severin betrat den Speisesaal.
»Yrth sei gepriesen!«, begrüßte er sie.
»Gepriesen sei Yrth«, erwiderte Brom.
»Wie ich sehe, hast du bereits eine passende Kutte erhalten, Bruder Brom. Das ist gut.«
»Ja, die sind recht fix bei der Kuttenausgabestelle«, sagte der Zwergenkrieger. »Und im direkten Vergleich Kutte gegen Hose hat erstere in punkto Tragekomfort ganz klar die Nase vorn, allein schon was die großzügige Bewegungsfreiheit an den Problemzonen angeht.«
»Wir freuen uns über jedes neue Mitglied, das wir in unserer Gemeinde begrüßen dürfen«, lächelte Severin. »Vielleicht lassen sich deine Freunde auch noch dazu bewegen, Yrth in ihre Herzen aufzunehmen.«
»Danke«, entgegnete Selpyhne, »wir werden darüber nachdenken. Besteht denn die Möglichkeit, dass uns die Matriarchin im Lauf des Tages empfängt?«
»Alles hat seine Zeit«, wiederholte der Akolyth. »Einstweilen hat sie mir aufgetragen, euch durch die Stadt zu führen, auf dass ihr sehet, wo die kleine Nenia künftig leben wird.«
»Dies ist die Bibliothek«, erklärte Severin.
Sie befanden sich in einem großen sechseckigen Raum mit Bücherregalen, die bis unter die Decke reichten.
Selphyne trat näher an eines der Regale heran und zog ein Buch heraus – es war das Buch Yrth.
So wie der nächste Band auch und der übernächste und der daneben: Es war alles ein und dasselbe Buch, in tausendfacher Ausführung.
»Ist das etwa das einzige Buch, das Sie hier haben?«, fragte sie und blickte an der Bücherwand empor, in der sich gleichförmig ein Band an den nächsten reihte.
»O nein«, antwortete Severin. »Wir haben auch noch einige apokryphe Schriften und Kommentare zweitrangiger Propheten, aber die werden in einem gesonderten Raum aufbewahrt, den wir stets verschlossen halten. Man benötigt die Erlaubnis der Matriarchin, um sie lesen
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