Totenwache - Thriller
warum machst du denn kein Fenster auf?«
»Hier gibt es keine Fenster«, sagte Nick.
»Aber das ganze Haus besteht doch aus Fenstern. Oder gibt es hier in Tarentum etwa keine Scharniere zu kaufen?«
Riley stand noch immer in der Tür und klopfte schließlich an eine Scheibe. »Dr. Polchak? Ich bin Dr. Riley McKay. Ich bin wissenschaftliche Assistentin am Rechtsmedizinischen Institut hier in Allegheny County - Pathologische Abteilung. Darf ich reinkommen?«
»Sie sind doch ohnehin schon drin«, sagte Nick. »Dr. Riley McKay, darf ich Ihnen Dr. Sanjay Patil vorstellen, seines Zeichens Molekularbiologe, Anhänger der Pitt Panthers und gelegentlich etwas quengelig.« Nick drehte sich zu seinem Kollegen um und reichte ihm einen Plastikbehälter. »Dienstag«, sagte er. »Spätestens.«
»Unmöglich«, entgegnete Sanjay. »Du erwartest doch wohl nicht von mir, dass ich dir bis Dienstag von dem halben Dutzend Proben, die du mir gegeben hast, jeweils eine DNS-Analyse mache? Das ist völlig ausgeschlossen.«
»Fragen wir sie doch mal«, sagte Nick und wies mit dem Kopf in Rileys Richtung. »Wenn Sie an Ihrem Institut eine DNS-Analyse in Auftrag geben, wie lange müssen Sie dann auf die Laborergebnisse warten?«
»Zwei Wochen«, sagte Riley. »Und das auch nur, wenn ich mit den Typen flirte.«
Nick sah Sanjay an. »Soll ich vielleicht mit dir flirten?«
Sanjay verstaute die Behälter in einem schwarzen Koffer, dessen Pendant Riley in der Hand hielt, und wandte sich zum Gehen. »War mir ein Vergnügen«, sagte er, als er an Riley vorbeikam. »Überlegen Sie mal, ob Sie ihm nicht helfen können - mit Ihren Kenntnissen in Pathologie.«
Nick sah Riley an. »Vielen Dank, Dr. McKay. Bislang hat Sanjay es noch immer geschafft, das Unmögliche für mich irgendwie zu ermöglichen, weil er es nicht besser wusste. Und jetzt haben Sie ihn darauf gebracht, dass das Unmögliche tatsächlich unmöglich ist. Was soll ich nun machen?«
»Vielleicht sollten Sie sich einfach mit der Realität abfinden«, erwiderte sie.
Nick neigte den Kopf zur Seite und musterte sie. Seine Augen waren pausenlos in Bewegung, zuckten ruhelos hin und her, auf und ab und vollführten die tollkühnsten Volten. Fast wie Flipperkugeln, dachte sie. Die weichen braunen Scheiben erkundeten zuerst die Konturen ihres Körpers, tasteten sie anschließend von oben bis unten ab und hielten dabei an bestimmten interessanten Punkten kurz inne. Plötzlich schossen sie wieder ungebärdig hin und her. Wie ein Skalpell, dachte Riley. Dann wischten die dunklen Kreise mit einigen langsamen Schwenks wieder weg, was sie gerade angerichtet hatten. Schließlich kamen sie auf Rileys Gesicht zur Ruhe.
Riley atmete heftig aus, hatte gar nicht bemerkt, dass sie die Luft angehalten hatte. So hatte sie in der Tat noch nie jemand angeschaut, so mit Blicken durchbohrt. War das nun eine Computertomographie, überlegte sie, oder doch eher eine Autopsie? Wenigstens hatte er sie mit den Augen zuerst in sämtliche Bestandteile zerlegt und dann wieder zusammengefügt.
Sie hatte das untrügliche Gefühl, dass Nick Polchak sie jetzt durch und durch kannte - in- und auswendig sozusagen. Doch ihr selbst war der Mann weiterhin ein völliges Rätsel.
»Sie kommen mir irgendwie … bekannt vor«, sagte Nick.
»Kein Wunder. Ich war vor ein paar Tagen bei Ms. Weleski im Unterricht - an der Fairview-Grundschule, wissen Sie noch?«
Nick fing an zu stöhnen.
»War doch ein super Auftritt«, versicherte ihm Riley. »Vor allem die Geschichte mit den kleinen Hörnern und den Verdauungssäften.«
»Worüber haben Sie anschließend denn gesprochen? Was hat das Rechtsmedizinische Institut denn so an neuen Erkenntnissen mitzuteilen?«
»Mein Thema hieß ›Krippen für Kleinkinder‹.«
»Oh, das ist nicht fair«, sagte Nick. »Sie arbeiten bestimmt mit PowerPoint, was? Mit Bildern von dämlichen Kleinkindern, die auf dem nackten Fliesenboden schlafen. Ich würde wirklich zu gern mal sehen, wie Sie so einer Klasse den Lebenszyklus einer fetten Made erklären.«
Riley sah ihn lächelnd an. »War gar nicht so einfach herzufinden.«
»Sie meinen nach Tarentum? Zweiter Stern rechts und dann bis zum Morgen immer geradeaus.«
»Ganz schön … abgelegen.«
»Abgewirtschaftet könnte man auch sagen - fertig - kaputt, Dr. McKay. Gestorben und begraben. So ist das nun mal mit toten Sachen. Tarentum ist eine Art Geisterstadt. Aber Sie hätten mal vor fünfundsiebzig Jahren hier sein sollen, bevor die
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