Totenwache
den Seerosenteich mit den großen weißen Blumen, den Trauerweiden und der Hängebrücke schweifen. Hier saß sie und sprach mit Rosmarie Haag, als ob sie sich ein Leben lang kannten. Die schöne unglückliche Rosmarie Haag. Maria stellte erstaunt fest, wie sehr sie sich über die Offenheit der Frau wunderte. Vielleicht deutete Rosmaries Freimütigkeit auf eine große Einsamkeit hin. Oder es war die Unruhe, die sie zu einem derartigen Bekenntnis trieb. Manchmal kann es sogar leichter sein, sich einem völlig Fremden anzuvertrauen. Maria kam nicht umhin, ihre eigene Ehe mit Krister mit der von Rosmarie zu vergleichen. Bei ihnen wechselten sich Streit und Glücklichsein ab wie Ebbe und Flut. Richtiger Streit erfordert gefühlsmäßiges Engagement, und natürlich liebte sie Krister. Er war zwar übergewichtig, hatte schon dünnes Haar, war total untrainiert und hoffnungslos eigensinnig, aber hinreißend. Absolut begehrenswert. Weshalb, konnte man sich fragen? Doch kaum, weil er der prachtvollste Mann war, mit dem sie Kinder haben wollte, wenn man nun weiter sachlich biologisch argumentierte. Ganz bestimmt nicht. Da ging es um ganz andere Qualitäten: Nähe und guten Willen. Vielleicht auch Humor. Gesehen werden, mit eigenen Augen sehen und sich trotzdem lieben. Nicht ohne Schwierigkeiten. Nicht ohne Zorn. Niemand kann einen Menschen so sehr verletzen, wie derjenige, den man liebt. Nicht mal Örjan Himberg oder Ragnarsson-Sturm konnten solche Gefühle der Ohnmacht und der Raserei in ihr wecken wie Krister. Beim besten Willen nicht, obwohl man ihnen lassen musste, dass sie sich große Mühe gaben.
»Sie wollen sich also einen Kräutergarten anlegen?« Rosmaries Stimme, die der Geschäftsfrau, unterbrach das Schweigen. Maria antwortete zustimmend und bekam gute Ratschläge über die Bodenvorbereitung, Bewässerung und den richtigen Platz im Garten. Bevor sie alles gründlich durchdenken konnte, hatte sie den Arm voll Thymian, Zitronenmelisse und Basilikum.
»Oregano ist leicht zu halten, der sät sich wie Unkraut aus, Basilikum ist etwas schwieriger. Es verträgt keinen Frost.« Maria rieb die Spitzen einer kleinen Pflanze mit langen nadelartigen Blättern zwischen den Fingern und sog das nach Kampfer duftende Aroma ein.
»Was ist denn das?«
»›Das ist Rosmarin, das ist für die Treue‹, sagte Ophelia zu Hamlet. Der ist nicht ganz leicht anzubauen. Verträgt ebenfalls keinen Frost. Ein altes Sprichwort besagt, wo die Frau dominiert, überlebt Rosmarin.«
»Dann hat es keinen großen Zweck.«
»Sagen Sie das nicht. Rosmarin wurde auch im alten Ägypten benutzt. Es war Sitte, dem Toten einen Zweig Rosmarin mit ins Grab zu legen. ›Rosmarin zur Erinnerung‹, sagte man. Das ist eine hübsche Pflanze. Der Name bedeutet so viel wie Meertau, Rosmarinus. Das passt gut zu Lammfleisch und Wild. Rosmarin kann ich Ihnen für Ihr Kräuterbeet nur empfehlen. Sie können die Pflanze als Zugabe bekommen, wenn Sie die anderen Kräuterpflanzen kaufen.«
Rosmarie kam mit zu ihrem Auto und hielt die Kofferraumklappe auf, damit Maria die Pflanzen hineinstellen konnte, ohne dass ihr die Klappe auf die Finger knallte. Krister hatte schon seit einiger Zeit versprochen, sie in Ordnung zu bringen. Seine Zwischenlösung war eine abgebrochene Angelrute, die davor als Zeltstange gedient hatte. Wo die eigentliche Stütze geblieben war, wusste sie nicht. Vielleicht war es der Stab, der vorübergehend als Unterkante des behelfsmäßigen Springrollos herhalten musste.
In Rosmaries Haltung war etwas Zögerliches zu spüren.
»Sie wollten nicht noch etwas anderes sagen?«, versuchte Maria.
»Nein«, antwortete Rosmarie hastig und drehte sich um.
5
Eine kluge Mutter lässt ihre Kinder das Eis nicht im Auto essen. Maria hatte es eilig und musste die Konsequenzen tragen. Linda, die es interessanter fand, das Eis vom Boden zu essen, es aber nicht schaffte, weil das Eis im heißen Auto zu schmelzen begann, schmierte mit den Resten die Seitenscheibe und die Armstützen voll. Milch kaufen, stand zuoberst auf der Einkaufsliste. Mit einem Stich ins Herz hatte Maria die Biomohrrüben zur Seite gelegt, damit das Geld für das Eis reichte. Ein schlechtes Gewissen hatte sie wegen des teuren Bauernfrühstücks sowieso. Hinein mit Emil zum Friseur, der wollte sich die Haare nicht schneiden lassen, ließ sich aber überreden, weil er während des Wartens einen Zeichentrickfilm ansehen durfte. Die Versicherungsgesellschaft anrufen und dann ins Geschäft
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