Totenwache
sich mit ihrer getrockneten Wäsche auf den Weg gemacht hatte, ließen sich Hartman und seine Frau mit ihren Kaffeetassen vor dem glimmenden Feuer nieder. Marianne lehnte sich über das Schachspiel und begann einen gewagten Zug mit dem weißen Springer. Hartman schaukelte zögerlich seinen schwarzen Bauern hin und her, während er mit seinen Gedanken ganz woanders war.
»Was hat Lena eigentlich für Freunde? Weißt du, mit wem sie zusammen ist? Es ist lange her, dass sie Freunde mit nach Hause gebracht hat. Macht man das vielleicht nicht mehr, wenn man zu Hause ausgezogen ist?«
»Als sie den Staubsauger leihen wollte und ich ihn ihr vorbeigebracht habe, saß da eine Gruppe junger Leute um ihren Küchentisch herum. Ich glaube nicht, dass da irgendeine Gefahr droht. Die sahen alle so nett und freundlich aus. Tüchtige junge Leute, an der Natur interessiert. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Drogen konsumieren oder so was. Du bist durch deinen Beruf vorbelastet, Tomas. Es sah so aus, als ob sie raus wollten und demonstrieren. Überall auf dem Boden lagen Plakate herum. Das sah richtig gut aus, fand ich. So wie in unserer Jugend. Ich meine, heutzutage wird viel zu wenig demonstriert. Wann sind wir zuletzt am 1. Mai mitmarschiert, Tomas? Kannst du dich daran erinnern?«
Hartman fingerte an einem anderen Bauern, um dann ganz erschöpft gegen besseres Wissen den schwarzen Springer zu ziehen.
20
Ein Regenwurm kämpfte in einer Pfütze um sein Leben. Der Asphalt auf dem Parkplatz glänzte schwarz im Licht der Straßenlaterne. Die Düfte, die der Regen freigesetzt hatte, hingen schwer über den Jasminbüschen und in den Linden am Parkautomaten. Maria beugte sich über die kleine Kreatur und setzte sie vorsichtig unter einem Busch auf die Erde. Wie ein kleiner Sieg für das Leben an diesem Tag, der so viel jähen Tod gebracht hatte.
Nach Hause zu fahren und zu schlafen schien ihr nicht verlockend. Es war nötig, sich auszusprechen, aber Maria spürte, dass sie Zeit brauchte, um ihre Fragen zu formulieren. Und vor allem Zeit, um sich auf die Antworten vorzubereiten, die Krister möglicherweise geben würde. Maria entschloss sich, erst mal hinunter zum Fischereihafen zu fahren. Sicher war Erika immer noch in Jacobs Schuppen beschäftigt. Eine Eingebung, die direkt aus der Tiefe ihres leeren, knurrenden Magens kam, ließ Maria hinüber zur Pizzeria fahren und zwei Quattro Stagione kaufen. Erika hatte es an diesem Abend sicher nicht geschafft, eine Essenspause einzulegen.
Während sie auf die Pizza wartete, setzte sie sich an einen Tisch und hörte sich die Nachrichten an. Ragnarssons Stimme dröhnte durch den Raum und ließ die Pelargonien ihre Blätter schütteln. Mit lauter Stimme verkündete er seine Sicht der Ereignisse an diesem Tag und sprach von den begrenzten Mitteln der Polizei, hin und wieder unterbrochen von den Fragen der Reporterin: »Aber Sie können doch die Sicherheit der Bevölkerung garantieren?«
»Wir tun unser Äußerstes.« Ragnarssons Stimme hörte sich jetzt gepresst an. Maria konnte ihn vor sich sehen, das Gesicht rot bis an die Ohrläppchen, die Kippe nervös zwischen Daumen und Zeigefinger rollend. Sie konnte sich auch das kaum versteckte Grinsen der Reporterin vorstellen, als sie merkte, dass sie Ragnarsson-Sturm aus dem Gleichgewicht gebracht hatte. Die Reporterin und Ragnarsson waren nach früheren Konfrontationen nicht gerade befreundet. Vielleicht gelang es ihr, ihm eine Äußerung zu entlocken, aus der man eine Schlagzeile machen konnte. Widerwillig musste Maria trotzdem die Fähigkeit ihres Chefs bewundern, nicht über die ausgespannten Fallstricke zu stolpern.
»Der Täter ist also bekannt. Die Polizei steht machtlos da«, fasste die Reporterin zusammen, und Ragnarsson entgegnete schnell:
»Wir arbeiten nach bewährten Strategien. Das Personal arbeitet zielstrebig und sehr kompetent. Allerdings haben wir zu wenig Fachkräfte, und das ist eine Frage an unsere Politiker.«
Gut gemacht, Ragnarsson, dachte Maria. Man stelle sich vor, Ragnarsson-Sturm würde auf der Wache nur ein klein wenig Lob aussprechen, wie sich das auf das Arbeitsklima auswirken würde. So musste ein Klopfen auf die Schulter über den Rundfunk notfalls reichen, als leuchtende Ausnahme von den täglichen Unfreundlichkeiten. Bereits in ihrer ersten Woche in Kronköping hatte Maria Anlass gehabt, sich über Ragnarsson zu ärgern. »Sehr schlechtes Protokoll, Wern! Ganz schlecht!«, hatte er ihr ins Gesicht
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