Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Totenwache

Totenwache

Titel: Totenwache Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Jansson
Vom Netzwerk:
und streichelten um die Steine und den Anleger herum. Die Möwen waren still geworden und hatten sich zum Schlafen auf die Pfähle im Wasser gesetzt. Die Absperrungen rund um die Schuppen waren in der Dunkelheit kaum zu sehen. Drinnen beim alten Jacob war Licht, ebenso in dem Schuppen daneben, in dem Mårten Norman gewohnt hatte. Erika blickte gerade aus der Tür, als Maria auf die Rasenfläche einbog. Sie machte ein grimmiges Gesicht.
    »Pizza! Hast du Zeit?«, rief Maria.
    »Ich werde dich lieben, solange ich lebe!«, sagte Erika, und ihre Miene hellte sich ein wenig auf. Langsam streifte sie die Gummihandschuhe ab. Sie spülte die Hände im Seewasser und rieb sie anschließend mit Alkohol ab. Gemeinsam setzten sie sich auf den Anleger und aßen mit den Fingern, auch den Weißkohlsalat. Maria hatte nicht daran gedacht, Plastikbestecke mitzunehmen.
    »Weißt du, woran man erkennt, ob eine Frau älter als vierzig ist?«
    »Nein«, gab Maria zu und wartete auf die Erklärung.
    »Sie wird unsichtbar. Denk mal darüber nach, was im Fernsehen gezeigt wird. Frauen mittleren Alters werden in der Werbung diskriminiert. Frauen über vierzig existieren nicht, es sei denn, es geht um Inkontinenz. Wenn im Fernsehen Bier getrunken wird, zeigt man zwei junge Männer, die für eine Weile allein sein wollen. Von Sängerinnen ganz zu schweigen. Wie viele von denen treten denn noch auf, wenn sie ein mittleres Alter erreicht haben? Cher möglicherweise. Aber erst als sie operiert und bis aufs Skelett korrigiert worden war. Man sollte meinen, eine phantastische Stimme reicht aus. Aber so ist es nicht. Die Stimme ist von untergeordneter Bedeutung. Sieh dir doch an, welche da lanciert werden. Das sind Teenagerküken, deren Stimme noch zur Hälfte in der Eierschale steckt. Genau so was wollen die älteren Herren sehen, junge Hühner«, stellte Erika verbittert fest. Maria konnte sich dunkel daran erinnern, dass Erika früher als Sängerin mit einer Tanzkapelle aufgetreten und von einer Jüngeren abgelöst worden war, sowohl privat als auch auf der Bühne. Ek hatte das mal beiläufig erwähnt. Maria stimmte ihr von ganzem Herzen zu. Weibliche Teenager waren im Moment ein heikles Thema. Wenn das erst mal zur Sprache kam, wurde ihr das ganze Problem mit Ninni und Krister, dem Kussabdruck und den Verdächtigungen wieder bewusst.
    »Man spürt das lange, bevor es passiert«, fuhr Erika fort, und ihre Stimme kam von weit her aus einer anderen Zeit. »Plötzlich hat er sich neue Kleidungsstücke gekauft. Obwohl er sich sonst nie für sein Aussehen interessiert hat. Die Abende werden lang. Er macht Überstunden. Seine Augen starren voller Widerwillen auf deinen verschlissenen Morgenrock. Er will deine Füße nicht auf seinen Knien haben, wenn ihr vor dem Fernseher sitzt. Eine neue Form von Höflichkeit, ein Abstandwahren, kommt zum Ausdruck, wenn er dich anspricht, weil er sich noch nicht entscheiden kann, aber ein schlechtes Gewissen hat. Wenn du ihr Parfüm auf seinem Kopfkissen riechst, weißt du, wie nahe sie sich gekommen sind. Haut an Haut. Ich habe mich nie getraut, ihn zur Rede zu stellen. Ich wusste, dass die Schlacht verloren war, als ich die Frau in seinem Büro gesehen habe. Als ich die wunderbaren Blicke gesehen habe, die sie sich zuwarfen. Sie war achtzehn und ich achtunddreißig. Die letzten Tage mit ihm habe ich genossen, als ob es ein ganzes Leben war, und vielleicht war es das ja auch. Die letzten Tage, als sein Körper sich in meiner Nähe befand, obwohl seine Gedanken wie geile Wildkaninchen längst weggehoppelt waren und den Bau leer zurückgelassen hatten.«
    Maria spürte, wie sich ihr der Magen umdrehte. Unruhe stieg in ihr hoch. Die Pizza behielt sie zwar in der Hand, aber an weiteressen war nicht zu denken. Der Weißkohl nahm die Form unappetitlicher Würmer an, die sich in ihrem Plastikbehälter umeinander ringelten.
    »Vielleicht ist es ja nur ein dummes Missverständnis. Vielleicht gibt es eine einfache Erklärung dafür, dass Krister ihre Telefonnummer auf einem Zettel in seiner Tasche hat. Der Kussabdruck kann bei einer anderen Gelegenheit darauf gekommen sein. Es kann sich um eine Art Scherz handeln. Ich mache mir vielleicht unnötig Gedanken.« Marias Stimme hörte sich so an, als ob sie aus einem Buch vorlas, als ob sie die Worte, die sie aussprach, nicht selbst formulierte.
    »So habe ich am Anfang auch gedacht.« Erika ließ die Hand durch das schwarze Wasser gleiten. Der Ring mit dem Amethyst glänzte ebenso

Weitere Kostenlose Bücher