Totenwache
sehr krank. Clarence trinkt so gut wie keinen Alkohol. Er nimmt höchstens ein Glas Wein und nippt daran, wenn wir Gäste haben.«
»Armer Kerl«, entfuhr es dem Oberkellner mit einem Seufzer. Es war nicht klar, ob er Clarence bedauerte, weil der von seiner Ehefrau so kurz gehalten wurde, oder ob er den erbärmlichen Zustand meinte, in dem sich der Mann am gestrigen Abend befunden hatte.
»Wollen Sie uns bitte genau erzählen, was gestern vorgefallen ist?«, bat Maria. Der Oberkellner reckte sich, als er feststellte, dass der informelle Teil des Gesprächs beendet war und er jetzt einem Repräsentanten des Rechtswesens seine Beobachtungen schildern sollte.
»Clarence hatte einen Tisch für sieben Uhr bestellt, seinen üblichen Platz. Sein Gast, irgendein Künstlertyp mit Sportmütze, dunkler Brille und Lederhandschuhen, kam ungefähr Viertel nach sieben.« Der Oberkellner spuckte das Wort Sportmütze so aus, dass niemand im Unklaren darüber bleiben konnte, was er von einer solchen Kopfbedeckung bei Tisch hielt. »Sie bestellten beide Hering und Schnaps dazu. Deutlich mehr Schnäpse als Heringe, will ich meinen. Dann ließen sie mich das Steak nach Art des Hauses empfehlen, selbstverständlich schwedisches Fleisch, mit Gorgonzola und in Scheiben geschnittenen Champignons in Rotweinsoße. Dazu bestellten sie zwei Flaschen Rotwein: Chateau Olivier 1989, einen feinen Jahrgang.
Hinterher habe ich gesehen, dass beide in dem Essen nur herumgestochert haben. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, das hat mich enttäuscht. Dieses Gericht ist immer ein Erfolg. Zum Kaffee tranken die Herren Cognac. Danach wurde dem guten Clarence übel. Der Mann mit der Sportmütze folgte ihm hinaus auf die Straße. Er hielt sein Taschentuch auf Clarence’ Mund gedrückt, um ihn daran zu hindern, sich auf den Fußboden zu erbrechen, bevor sie hinauskamen, nehme ich an. Gutes Reaktionsvermögen, das muss ich sagen. Da konnte ich ihm die Sache mit der Sportmütze beinahe verzeihen. Die Rechnung wurde bar bezahlt. Das Geld lag auf dem Tisch. Der genaue Betrag, keine Öre Trinkgeld. Clarence ist sonst sehr großzügig mit Trinkgeldern, deshalb hat sicher der andere bezahlt, auf die Öre genau. Ich bin ihnen bis an die Tür nachgegangen, um zu sehen, ob ich ihnen behilflich sein konnte. Aber da saßen sie bereits im Auto. Einem blauen BMW . Sie bogen zur Umgehungsstraße ab. Ich konnte nicht mehr sehen, wer von den beiden fuhr. Aber das kann wohl kaum Clarence gewesen sein, das versteht sich von selbst.«
»Das Auto von Clarence ist immer noch verschwunden. Es ist ein blauer BMW «, erklärte Rosmarie mit beherrschter Stimme. Maria schrieb sich die Autonummer auf und nahm ihr Handy, wählte die Nummer von Kriminalinspektor Hartman und erklärte die Situation.
»Wir fahnden umgehend nach dem Wagen«, sagte sie, nachdem das Gespräch beendet war.
»Wenn der Mann am Lenkrad nicht nüchtern war, kann das Auto ja in irgendeinem Graben liegen. Clarence kann ja nicht der Fahrer gewesen sein. Er war ja anscheinend krank. Wie schnell kann sich eine Lebensmittelvergiftung bemerkbar machen?«, fragte Rosmarie und fasste sich an den Hals.
»Nein, jetzt muss ich aber protestieren! Wir verwenden nur erstklassige Rohwaren in meinem Restaurant, alles andere ist unvorstellbar. Zu behaupten, dass einer meiner Gäste sich eine Lebensmittelvergiftung zugezogen hat, ist eine grobe Beleidigung.« Der Mann im Pyjama bekam ein hochrotes Gesicht.
»Entschuldigen Sie, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich kann mir nur nicht vorstellen, dass Clarence etwas getrunken hat. Ich will es einfach nicht glauben.« Rosmarie fuhr sich mit den Fingern durchs Haar, sodass der Knoten im Genick sich löste und die roten Locken auf ihre Schultern fielen. »Zu Hause haben wir einen Barschrank, damit er Geschäftsfreunden und Besuchern etwas anbieten kann. Er rührt nur selten selbst einen Tropfen an. Wenn ich mir mal ein Glas Wein genehmige, ohne dass wir Gäste haben, kann er den ganzen Abend über schlechter Laune sein. Clarence verabscheut angetrunkene Frauen.«
Einer der beiden muss nüchtern genug gewesen sein, um den Betrag auszurechnen und die Rechnung zu bezahlen, überlegte Maria im Stillen, und bedankte sich, als der Oberkellner die Kaffeekanne in ihre Richtung hielt.
Rosmarie Haag wurde nach Hause gefahren, um von dort aus Verwandte und Freunde anzurufen. Ihr Mann hatte dem Kalender nach eine Verabredung um 9.30 Uhr und eine Hausbesichtigung um 11.00 Uhr. Nachmittags
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