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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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doch sie drehten sich im Kreis. Für Andresen war es Routinearbeit, für Sören ein verlorener Tag. Die Vermittlungsstelle des Stadttelephons konnte nicht weiterhelfen, da man wegen der baldigen Umstellung auf die neue Fernsprechzentrale an der Binderstraße keine Vermittlungsberichte mehr anlegte, außerdem ging Andresen so oder so davon aus, dass der Anrufer einen öffentlichen Fernsprecher benutzt hatte. Auch die Criminaltechniker, die den Hof hinter Sörens Kanzlei genau unter die Lupe nahmen, konnten keine verwertbaren Spuren finden. Und von Brunckhorst gab es bis zum Abend keine Spur.
    Sören schmunzelte in sich hinein. Armin hatte vorgesorgt. Blieb nur zu hoffen, dass er die Wahrheit gesagt hatte.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 3
    T ilda wich ihm aus, Sören fand keine andere Erklärung. Es war bereits der dritte Abend in dieser Woche, an dem sie nicht zu Hause war, wenn er kam. Dabei hatte er sich extra Mühe gegeben, sich nicht zu verspäten. Immer häufiger musste er sein Abendbrot ohne Gesellschaft einnehmen, wo ihm doch so viel an ihren abendlichen Gesprächen lag. Nicht einmal eine Nachricht hatte sie ihm hinterlassen.
    Agnes hatte gerade Robert zu Bett gebracht, sie kam ihm auf der Treppe entgegen: «Die gnäd’ge Frau ist mit Frau Radel zu einem Vortrag der Theosophischen Gesellschaft, soll ich Ihnen ausrichten.»
    «Wie oft soll ich dir noch sagen, dass du das
gnädige
Frau
für dich behalten sollst», brummte Sören gereizt und ärgerte sich, dass er seine Enttäuschung an Agnes abließ, die ja nun wirklich nichts dafür konnte. «Wie viele Jahre bist du jetzt bei uns?», schob er in milderem Tonfall hinterher.
    «Im Oktober werden es sechzehn», antwortete das Mädchen gehorsam.
    «Siehst du. Du gehörst also schon fast mit zur Familie. Und wenn wir hier im Haus miteinander sprechen, dann nennen wir uns beim Namen. Beim Vornamen!»
    Gestern hatte Tilda Bier aus der Flasche getrunken, und heute titulierte das Mädchen sie mit
gnäd’ge
Frau
. Agnes war immer noch dankbar für ihre Anstellung, einen anderen Blickwinkel gab es für sie nicht. Sie war eine ehemalige Klientin und eigentlich ein hoffnungsloser Fall. Sie hatten sich ihrer angenommen, hatten ihr den Weg in die Bürgerlichkeit ebnen wollen, selbst eine Ausbildung hätten sie ihr finanziert, aber egal, was sie ihr angeboten hatten, sie wollte sich nicht auf eigene Beine stellen. Agnes war aus einem ganz anderen Holz als David. Auch ihn hatte Sören einst von der Straße weggeholt. Aber David hatte seine Chance ergriffen, und er hatte es geschafft. Wie oft hatte er dagegen mit Tilda über Agnes’ Zukunft gesprochen. Egal, zu welchem Ergebnis sie gekommen waren, ihr Mädchen bestimmte immer noch selbst über seine Zukunft. Und die sah für sie so aus, dass sie sich am wohlsten unter ihrer Obhut fühlte. Spätestens wenn sie keine Betreuung mehr für Robert benötigten, würden sie mit Agnes ein Problem haben, denn eine reine Haushaltshilfe oder Köchin hatte Mathilda stets abgelehnt.
    «Sehr wohl.» Sie machte einen Knicks und ging in Wartestellung.
    Wieder Frieda Radel. Als hätte er es geahnt. Seit Tilda mit dieser Frau eine engere Freundschaft verband, kam es ständig vor, dass sie bis spät in den Abend hinein unterwegs war. Früher war es die Partei gewesen, für die sie so manchen Abend geopfert hatte, aber als aktive Genossin bezeichnete sie sich schon seit einiger Zeit nicht mehr. Inzwischen hatten sich ihre Aktivitäten eindeutig in Richtung Frauenbewegung verschoben – dank Frieda Radel. Die hatte ihr den Floh ins Ohr gesetzt. Immer öfter trafen sie sich in Zirkeln der Frauensache, verkehrten in Künstlerkreisen, gingen gemeinsam zu Veranstaltungen, auch solchen, wo Männer unerwünscht waren. An sich hatte er dagegen nichts einzuwenden, denn er wünschte sich alles andere als eine Frau, die kein eigenständiges Leben führte und keine eigenen Interessen hatte. Was Sören störte, war, dass Tilda mit ihm nicht mehr über diese Dinge sprach. Er war es nicht gewohnt, dass sie Geheimnisse vor ihm hatte. Und immer häufiger waren sie sich uneins – auch was den weiteren Werdegang ihrer gemeinsamen Tochter betraf.
    Ilka war auf Klassenfahrt, ihrer letzten. Im Sommer würde sie die Schule abschließen. Und dann? Sören gönnte es seiner Tochter, etwas Besonderes zu machen – wenn es ihr eigener Wunsch war. Aber die Ideen, die man an sie herantrug, kamen von Mathilda und hatten ihren Ursprung natürlich bei Frieda Radel. In

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