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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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dem, was du erzählst, möchte ich sie auch nicht unbedingt kennenlernen.» Er grinste. «Mathilda wird schon wieder zur Vernunft kommen.»
    Es klang wenig beruhigend. «Und was Ilka betrifft … Ich denke, sie wird ihren eigenen Weg gehen. Ihr habt ihr alles eröffnet, aber sie ist doch noch so jung. Denk mal an dich selber. Was wolltest du werden? Schiffsbauer, wenn ich mich recht entsinne. Und dann hast du erst Medizin studiert und danach die Rechte. Das ist auch nicht gerade eine homogene Vita. Bereust du es? Ich denke nicht.» Martin schenkte Sören Wein aus einer gläsernen Karaffe ein. «Hier, probier mal.»
    «Du magst recht haben.» Sören studierte das Etikett der Flasche, die leer neben der Karaffe auf dem Tisch stand. Ein Châteauneuf-du-Pape Jahrgang 1896. Nach wie vor ließ es sich Martin gutgehen. Solche Kaliber hatte sein eigener Keller nicht zu bieten. «Nobel, nobel», murmelte er.
    «Du sollst ihn nicht klassifizieren, sondern trinken.»
    Sören betrachtete seinen Freund durch das Weinglas, das er vor seinem Gesicht kreisen ließ. Martin war fett geworden. Anders konnte man es nicht bezeichnen. Normalerweise hatte er seinen Winterspeck um diese Jahreszeit abgelegt. Dieses Jahr nicht. Seine Haut war erstaunlich glatt, nicht so von Altersfalten zerfurcht wie sein eigenes Gesicht. Aber er wirkte träge und kraftlos. Die Wangen hingen wie gefüllte Säckchen herunter, und sein Kinn verschmolz in mehreren Bögen mit seinem Hals. Martin war nie ein sportlicher Typ gewesen, aber die Haltung, wie er jetzt im Sessel ruhte, war die eines ermatteten alten Mannes. Der Wein duftete nach reifen Beeren und Sandelholz. Er zerging auf der Zunge wie ein weicher, samtener Strom, der über die vielen Jahre jeden Rest von Gerbsäure eingebüßt hatte. Nach dem ersten Schluck verdichtete sich dieser Eindruck förmlich zu einer Explosion unterschiedlichster Geschmäcker, einige intensiv, andere verhalten und nur in Nuancen anklingend. Sören war überwältigt. Einen solchen Tropfen hatte er noch nie zuvor getrunken.
    «Und? Was sagst du?» Martin blickte Sören erwartungsvoll an.
    «Gibt es etwas zu feiern? Ein solches Fläschchen öffnet man doch nicht täglich.»
    Martin schüttelte den Kopf. «Zweimal täglich. Wer weiß, wie lange ich es noch mache.»
    «Red keinen Quatsch.»
    «Wäre doch schade um den Vorrat, der noch im Keller lagert. Allein von dem Châteauneuf hab ich noch über zehn Kisten.»
    «Wenn du wirklich zwei Flaschen am Tag trinkst, dann machst du es wahrscheinlich wirklich nicht mehr lange. Ist dann immerhin ein äußerst teurer Tod. Was kostet so ein Fläschchen?»
    «Unbezahlbar.» Martin grinste. «Keine Ahnung, ich erinnere mich nicht. Aber egal, wie viel ich damals ausgegeben habe, er ist sein Geld wert. Findest du nicht?»
    «Deine Sorgen möchte ich haben.»
    «Lieber nicht», seufzte Martin. «Wenn ich nicht vom Wein zugrunde gehe, dann vor Langeweile. Was meinst du, wie ich dich um deine Familie beneide, auch um die Sorgen, die Ängste und alles, was so ein Familienleben mit sich bringt. Allein dein heutiges Kommen, deine Gedanken über Tilda und diese Frauenrechtlerin, dein Kümmern um Ilkas Zukunft, all das hab ich nicht. Und beruflich? Keine Herausforderungen mehr … hat alles geklappt. Alle Geschäfte haben immer glänzend funktioniert. Was mit Geld zu tun hat, langweilt mich inzwischen am allermeisten. Ich brauche gar nicht mehr zu arbeiten. Was auch immer ich anstelle, mein Kapital vermehrt sich. Ich versuche ja, mein Vermögen zu dezimieren, aber selbst irrsinnige Einsätze bei den Derby-Meetings, teure Geschenke an meine Liebhaber, das luxuriöseste Automobil, das aufzutreiben war … Es ändert nichts. Zweimal am Tag gehe ich in die teuersten Restaurants der Stadt, esse und trinke vom Feinsten, was die Karten hergeben … An den Wochenenden Sonderlustfahrten, egal wohin. Nächste Woche geht’s mit einem guten Freund per Express-Salon-Dampfer nach Helgoland. Und im Sommer habe ich eine Erholungsreise zur Mitternachtssonne nach Norwegen gebucht. Wir werden drei Wochen unterwegs sein, und ich freue mich tatsächlich. Aber ehrlich: Erholung? Wovon?»
    «Leiden unter dem eigenen Reichtum. Das klingt ziemlich dekadent.»
    «Es ist alles andere als das. Vergiss nicht, nach mir wird das Geschlecht der Hellweges ausgestorben sein. Keine Familie, keine Kinder. Die Vorstellung ist schon merkwürdig. Alles, was ich angehäuft habe, die Villa … es gibt keinen Erben.»
    «Deswegen willst

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