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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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mehrfach betonte.
    Vor dem großen Marmorkamin erkannte Sören Senator Holthusen, den Präses der Baudeputation, der mit seinem Amtskollegen Sander im Gespräch war. Sören machte einen Bogen um die beiden, nicht wegen Holthusen, aber Senator Sander war jemand, der Sören schon immer unangenehm gewesen war. Er kannte ihn noch als Landgerichtsdirektor, wo er sich als Staatsanwalt der hartnäckigen, aus seiner Sicht üblen Sorte einen Namen gemacht hatte. Wie Sander es in den Hamburger Senat geschafft hatte, war Sören immer noch ein Rätsel. Er musste genügend Fürsprecher gehabt haben. Der rechte Flügel des Senats hatte immer schon die Oberhand gehabt. Seit geraumer Zeit wetteiferte Sander mit Bürgermeister Schröder um den Einfluss auf das Polizeiwesen der Stadt. Sören war hin und her gerissen, wem von beiden er Erfolg wünschte – die Unterschiede waren marginal.
    Der große Tisch in der Mitte des Raums war für ungefähr vierzig Personen mit kleinem Geschirr eingedeckt worden, es schien jedoch keine Sitzordnung vorgegeben zu sein. Sören nahm neben Senator Mumssen Platz, der ihn freundlich begrüßte. Auch Emil Mumssen kannte Sören schon länger. Bevor er in den Senat aufgerückt war, hatte er in der Bürgerschaft das Linke Zentrum vertreten. Sören mochte ihn, nicht nur wegen seiner politischen Gesinnung. Mumssen war der einzige Senator, der heute ohne Ornat erschienen war.
    Nach und nach nahmen die anwesenden Herren Platz, zuletzt Senator Schröder am Kopfende des Tischs. Die dem Senat nicht bekannten Personen – zu denen er auch Sören zählte – stellte er in einem umständlich-förmlichen Prozedere vor. Gegenüber von Sören saß Aaron Goldmann, der Sohn von Elias Goldmann. Neben ihm Dr. Friedrich Tommsen, dem Goldmann als Teilhaber die kommissarische Geschäftsführung des Bankhauses übertragen hatte, da er selbst nicht über die dafür erforderliche Befähigung verfügte. Goldmanns Sohn war noch sehr jung, Sören schätzte ihn auf Mitte zwanzig. Er trug einen schwarzen Leinenanzug und hatte exakt gescheiteltes Haar. Die eine Seite war kurz geschnitten, die andere zu einer lässig herabhängenden Tolle frisiert, von der ihm dauernd einzelne Strähnen auf die Stirn rutschten, die er mit einer beiläufigen Bewegung zurückstrich. Dr. Tommsen hingegen war ganz der Typ nervöser Buchhalter, ständig in Bewegung und in unbeobachteten Momenten auf einem Stift kauend.
    An die Aufnahme des normalen Geschäftsbetriebes sei, so führte er aus, so lange nicht zu denken, bis er sich gemeinsam mit dem Revisor und dem Prokuristen der Bank ein genaues Bild gemacht habe und solange die Mitarbeiter der Criminalpolizei ihnen bei ihrer Arbeit über die Schulter schauten. Niemand hatte ihn um diese Einschätzung gebeten, und es klang ein wenig wie ein versteckter Vorwurf. Sehr wahrscheinlich hatte Elias Goldmann bis zu seinem Tod die Geschäfte völlig allein geführt und niemanden in seine Geheimnisse eingeweiht. Zum Schluss seiner Ausführungen dankte Dr. Tommsen Sören ganz formell für dessen Hilfe, womit er nur dessen Aufrichtigkeit und die Übergabe der Beute an die Polizei meinen konnte. So, wie er es ausdrückte, war es wahrscheinlich das gesamte Barvermögen der Bank gewesen. Sören spürte, wie sich alle Blicke auf ihn richteten, und ihm schoss das Blut in den Kopf.
    Dann wurde ihm die Bedeutung von Tommsens Worten erst klar, und er blickte fragend zu Andresen, der ihm wortlos zunickte. Es gab also keinen Grund mehr zu der Annahme, dass es sich bei der Rückgabe der Beute um ein Ablenkungsmanöver gehandelt hatte. Insgeheim fragte sich Sören, worum es bei diesem Treffen wirklich ging. Wegen der Anwesenheit von Goldmann und Tommsen bezweifelte er, dass die kopflosen Frauenleichen den Grund dafür darstellten. Andererseits schien die gesamte Spitze der Betreibergesellschaft für den Ringbahnbau gekommen zu sein, auf deren Drängen der Senat die Sitzung wohl einberufen hatte.
    Für die «Bauverwaltung für die elektrischen Stadt- und Vorortbahnen zu Hamburg, Siemens & Halske AG und Allgemeine Elektrizitäts-Gesellschaft», wie sich das Betreiberkonsortium umständlich nannte, saßen dessen Leiter und Generalbevollmächtigter, Regierungsbaumeister Wilhelm Stein, der Vorsitzende Dr. Heinrich Schwieger, sein Stellvertreter Dr. Robert Haas und die Regierungsbaumeister Kress und Pforr mit am Tisch. Die Staatsseite der Betreibergesellschaft vertraten Senatssyndikus Albrecht, sein Namensvetter Dr. Max

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