Totenwall
Albrecht, der städtische Oberingenieur Vermehren und Baurat Schnauder, von denen Sören niemand persönlich kannte. Ganz im Gegensatz zur Polizeiführung, welche sich an der anderen Kopfseite des Tisches niedergelassen hatte. Neben Regierungsrat Stürken und Polizeihauptmann Heinrich Andresen war auch der Chef der Hamburger Polizei, Polizeidirektor Dr. Gustav Roscher, anwesend, der sich jedoch im Hintergrund hielt und bei Nachfragen auf Stürken verwies, der den Stand der Dinge kurz umriss. Danach forderte er Andresen auf, detaillierte Ausführungen zu machen.
Die Frage, warum niemand von der Bürgerschaft anwesend sei, beantwortete Senator Burchard mit einem knappen: «Die sind alle nach Brüssel zur Weltausstellung», worauf allgemeines Gelächter den Saal füllte. Seit Bürgerschaftsmitgliedern die Reisekosten als notwendige Ausgaben bewilligt wurden, hatten auf einen Schlag die Mitglieder fast aller Deputationen und Ausschüsse ihren Anspruch auf eine Fahrt nach Brüssel geltend gemacht. Was anfänglich nur hinter vorgehaltener Hand bespöttelt wurde, war inzwischen einer lautstarken Kritik gewichen, da einige Bürgerschaftsmitglieder den Bogen überspannt und auch die Reisekosten für ihre Familie geltend gemacht hatten. Steuerverschwendung war noch eins der harmloseren Worte, die durch die Presse gingen.
Die Heiterkeit wich schnell einer allgemeinen Ernsthaftigkeit. Wie Stein darlegte, behinderten die polizeilichen Untersuchungen sowohl in der Sache der kopflosen Frauenleichen wie auch des Raubmordes im Bankhaus Goldmann die Bauarbeiten, und er machte deutlich, dass sich die termingerechte Fertigstellung verzögern könnte, wenn durch die Arbeit der Polizei weiterhin ganze Trupps am Betreten der Baustelle gehindert wurden. Es sei den Bauarbeitern nicht zuzumuten, dass sie permanent Befragungen durch die Polizei ausgesetzt seien, wobei die Unterstellung einer möglichen Tatbeteiligung immer noch offen im Raum stand.
Stürken antwortete, dass ein solches Vorgehen im Falle eines oder mehrerer Kapitalverbrechen durchaus die Regel darstellte. Dann legte er dar, dass es vonseiten der Polizei schwer nachvollziehbar sei, wie die heimliche Ausschachtung eines Stollens zum Bankhaus von den Bauarbeitern unbemerkt geblieben sein soll. Baurat Schnauder hielt ihm entgegen, dass man dort inzwischen in drei Schichten arbeite und die Arbeiter nicht wissen würden, was jeder Bautrupp gerade mache. Es sei Aufgabe der Poliere und Ingenieure, die einzelnen Arbeiten aufeinander abzustimmen. Von daher sei es abwegig, eine Beteiligung der Bauarbeiter anzunehmen.
«Die Täter haben sich das Chaos auf der Baustelle einfach zunutze gemacht», entfuhr es Sören, und er erhielt Zustimmung. Er wusste ja, dass niemand vor Ort eingebunden gewesen war. Eine Kritik an der Polizeiarbeit lag ihm fern. «Ich persönlich frage mich vielmehr, warum die Täter ihre Beute zurückgegeben haben.»
«Dr. Bischop vermutet, dass Raub und Mord nicht zwingend miteinander zusammenhängen müssen», erklärte Hauptmann Andresen den verdutzt dreinblickenden Anwesenden. «Und ich selbst finde diesen Gedanken gar nicht so abwegig. Allerdings kann ich diese Spur momentan nicht in dem notwendigen Maße verfolgen, da uns die enthaupteten Frauenleichen zu sehr beschäftigen.» Der Blick, den er Roscher zuwarf, wirkte wie verabredet.
«Die personellen Ressourcen der Criminalpolizei scheinen jedenfalls an ihre Grenzen geraten zu sein», bestätigte der Polizeidirektor kleinlaut. «Für eine sachdienliche Untersuchung fehlt es uns angesichts zweier zeitgleicher Kapitalverbrechen dieser Größenordnung an Personal.»
«Was wir kurzfristig nicht beheben können», warf Bürgermeister Schröder ein.
«Zumindest eine, wenn nicht zwei Sonderkommissionen sollten eingesetzt werden», forderte Senator Sander. «Über die Frauenleichen haben wir noch nichts erfahren.» Er warf Regierungsrat Stürken einen auffordernden Blick zu, und Stürken gab gleich an Andresen weiter.
«Die Wahrscheinlichkeit, es mit einem wahnsinnigen Serientäter zu tun haben, ist relativ groß. Das Motiv zu den Taten ist uns völlig unklar. Mit Sicherheit können wir davon ausgehen, dass es sich nur um einen Täter handelt. Sehr wahrscheinlich einen Verrückten. Zuerst muss die Identität der Toten geklärt werden.»
«Es wird also weitere Frauenleichen geben?», fragte Burchard.
«Ganz ehrlich gesagt …», Andresen nickte zögerlich, «ja. Und wenn die nächste Leiche ebenfalls in einer
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