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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Verdichtung der Stadt aufgezehrt worden war? Genau betrachtet, hatte Mathilda recht. Noch vor fünf Jahren hatten sie in ihrem kleinen Garten gesessen und vom Treiben der Großstadt nichts mitbekommen. Inzwischen war ihr Grundstück von anderen Häusern umzingelt, vor allem im Winter merkte man das fehlende Licht durch die benachbarten Häusergiebel, und im Sommer hörte man den Verkehr auf der Chaussee bis spät in den Abend.
    «Immer mehr ziehen hinaus in die Natur, ziehen das ländliche Leben dem in der Großstadt vor.»
    Auch wenn es kein wirklich ländliches Leben ist, dachte Sören. So war es schon vor hundert Jahren gewesen – mit allem Komfort des städtischen Lebens inklusive der Bediensteten. Wer etwas auf sich hielt und die Möglichkeiten hatte, baute sich Wochenend- und Sommerhäuser jenseits des Trubels der Stadt. Die zahlreichen Villen in den Altonaer Elbvororten, in Hamm und im Norden der Stadt zeugten noch heute vom damaligen Wunsch nach Ruhe und Abgeschiedenheit. Es hatte sich also nicht wirklich etwas verändert. «Martins Eltern haben ihren Lebensabend auch auf ihrem Sommersitz in Volksdorf verbracht. Ist es das, was dir vorschwebt?»
    «Vom Lebensabend will ich nichts gesagt haben», erwiderte Tilda mit einem Grinsen. «Es ist nur so, dass mich das Leben hier in der Stadt müde macht. Ich habe Sehnsucht nach Ruhe und Geborgenheit.»
    Das Wort Geborgenheit löste in Sören etwas aus. Er schwor sich, an diesem Makel zu arbeiten. Wenn es wirklich das war, dann lag es an ihm, diesen versteckten Vorwurf zu beheben. «Du hast von Robert und dem Umfeld gesprochen, in dem er aufwächst.»
    «Ja, ich denke, dass es auch dem kindlichen Naturell entspricht, in einer Umgebung aufzuwachsen, die es erlaubt, direkten Kontakt mit der Natur zu haben. Alles, was wir hier haben, ist doch nur ein marginaler Ausschnitt von dem, was das Leben zu bieten hat. Es ist in aller Munde. Immer mehr ziehen hinaus in die Natur. Gestern war die Rede davon, dass in Langenhorn eine Gartenstadt entstehen soll. Eine richtige Siedlung inmitten grüner Wiesen. Viele interessieren sich dafür, und auch ich wäre bereit, für einen Garten, eigene Bäume, Wiesen und Ruhe die Unannehmlichkeiten der weiten Wege in die Stadt in Kauf zu nehmen.»
    «Du meinst, wir sollten unser Domizil hier an der Feldbrunnenstraße wirklich aufgeben?» Sören hatte Schwierigkeiten mit dem Gedanken. Alle Mittel, die ihm zur Verfügung gestanden hatten, hatte er in den Erwerb des Hauses gesteckt. Damals, als Martin die herrschaftliche Villa in der Alten Rabenstraße erworben hatte, war es ihm so vorgekommen, dass hier das Paradies der Stadt zu finden war. Die direkte Angrenzung ans Zentrum der Stadt, die unmittelbare Nähe zur Alster … All das waren wohldurchdachte Argumente für diesen Standort gewesen. Nicht nur für ihn oder Martin Hellwege, der durchaus andere Möglichkeiten gehabt hatte. Nein, die Hautevolee des hanseatischen Bürgertums hatte sich in der Nachbarschaft versammelt, vornehmlich am Ufer des Sees bis hoch nach Harvestehude, und in letzter Zeit, wo leere Baugrundstücke Seltenheitswert hatten, zunehmend auch im Hinterland und in Richtung Eppendorf. Auch wenn es vielleicht absehbar war, dass er nicht mehr täglich in die Kanzlei fahren würde, die Vorstellung, nicht mehr im direkten Umfeld der Stadt zu wohnen, schien ihm befremdlich. «Ich denke mal darüber nach. Welche Gegend schwebt dir denn vor?»
    Es war nicht so, dass sein Herz an diesem Haus hing, weniger jedenfalls als an Tilda und daran, dass sie eine glückliche Familie blieben. Ein Häuschen in einer der Gartenstädte, von denen man seit geraumer Zeit mehrfach hörte, kam für ihn jedenfalls nicht in Frage. Soviel er gesehen hatte, waren es künstliche Arrangements possierlich anmutender, aber typisierter Bauten, die, meist um einen Anger gruppiert, ganz offensichtlich dörfliche Idylle vorspielten. Kleintierhaltung und ein Nutzgarten zur Selbstversorgung inbegriffen. Schule und Einkaufsmöglichkeiten befanden sich in unmittelbarer Umgebung, man brauchte die Gegend eigentlich gar nicht mehr zu verlassen. Nicht mit ihm. Dann könnten sie sich auch gleich einen Schrebergarten zulegen. Wenn überhaupt, dann musste etwas Adäquates her. Der Verkauf dieses Hauses sollte genug Möglichkeiten dafür schaffen. Vielleicht könnte ihnen sogar David etwas entwerfen … Wenn überhaupt …
    «Irgendwo im Norden der Stadt vielleicht. Am Sonntag habe ich mich mit Liane in ihrem Camp

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