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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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verabredet. Das Gelände liegt hinter Duvenstedt, abgelegen am Brook jenseits des Alsterlaufs.»
    «Duvenstedt? Das ist ja fast schon eine Tagesreise bis in die Stadt», entgegnete Sören.
    «Liane fährt drei Stunden von Barmbeck aus mit der Pferdebahn. Aber es lohnt sich, sagt sie, und ich möchte es mir unbedingt anschauen. Ilka kommt am Montag von ihrer Klassenreise zurück, dann werde ich erst mal keine Zeit haben. Hättest du nicht Lust mitzukommen? Wir könnten mit deinem motorisierten Rad fahren und uns nebenbei die Gegend angucken, oder wir mieten uns ein Automobil und holen Liane auf dem Weg ab.»
    Sören machte ein nachdenkliches Gesicht. «Wird Frieda Radel auch mit von der Partie sein?»
    Tilda lachte. «Nein, bestimmt nicht. Ich würde mich freuen, wenn du mitkommst. Wir haben lange nichts mehr gemeinsam unternommen.»
    «Dann wolln wir mal sehen, ob sich mein Körper bis Sonntag von seinen Strapazen erholt hat, damit er den nackten Aktivitäten auch standhält.»
    «Du musst dich doch gar nicht an den sportlichen Betätigungen und gymnastischen Übungen beteiligen. Ich bin nur so neugierig, was sie dort machen.»
    «Die Temperaturen mögen ja einladend sein, aber mit geschwollenem Auge und blutiger Lippe möchte ich dennoch von solchen Strapazen verschont bleiben», gab Sören zu bedenken. «Meine Augenbraue schmerzt auch schon wieder.»
    Tilda griff nach dem Fläschchen mit der geheimnisvollen Tinktur. «Bis zum Sonntag bekommen wir das hin. Ganz bestimmt.»
    «Ich bitte darum.»
    Sie nahm einen neuen Tupfer und setzte sich bereitwillig auf seinen Schoß. «Na, dann lass mal sehen …»
    «Von der Lippe will ich gar nicht reden.» Er hatte keine Ahnung, woher sie das Fläschchen hatte, und auch wenn ihr Frieda Radel es selbst ausgehändigt hatte, Sören war es in dem Moment egal.

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 6
    A n eine Fahrt mit dem Zweirad war noch nicht zu denken, die Brille drückte immer noch. Zwar konnte Sören das Auge inzwischen schmerzfrei öffnen und wieder räumlich sehen, dennoch ließ er sich mit einer Droschke fahren, was er jedoch gleich bereut hatte. Während der ganzen Fahrt hatte der äußerst mitteilungsbedürftige Kutscher darüber lamentiert, dass in der Stadt immer noch keine motorisierten Droschken erlaubt waren. Sören war froh gewesen, als sie den Rathausmarkt endlich erreicht hatten.
    Es war noch ein wenig Zeit, und so steuerte Sören zuerst die Toiletten im Erdgeschoss an, um sich zu vergewissern, dass Mathildas Schminkkünste die Fahrt überstanden hatten. Er war nicht allzu eitel, aber in Anbetracht der von Andresen angekündigten Persönlichkeiten wollte Sören bei dem Treffen doch der Etikette entsprechen und nicht mit der Erscheinung eines Boxers nach verlorenem Kampf auftreten.
    Mit Genugtuung stellte er vor dem Spiegel fest, dass die Schwellung nur noch marginal zu erkennen war. Eine leichte Blaufärbung des Hämatoms schimmerte ihm entgegen, und den Riss in der Lippe sah nur, wer den Makel kannte. Schwierigkeiten bereitete ihm sein Unterkiefer. Sein gestriger Besuch in der von Tilda empfohlenen Zahnarztpraxis hatte für Klarheit gesorgt. Die Anfertigung eines Zahnersatzes sei kein Problem, so der Arzt, und auch für die Befestigung der Prothese sah er keine Schwierigkeiten, da die benachbarten Zähne noch gut in Schuss waren. Sören hatte sich mit den Kosten von rund hundert Mark sofort einverstanden erklärt. Man hatte Maß genommen, einen Abdruck angefertigt und schließlich auch den passenden Farbton gefunden. Die Fertigung selbst sollte nur drei oder vier Tage dauern, aber an eine Präparation war vorerst nicht zu denken, da die Wunde erst vollständig verheilt sein musste; das könne, so der Fachmann, durchaus zwei bis drei Wochen dauern. Zur Beschleunigung des Heilungsprozesses hatte er Sören eine Salbe mitgegeben. Die Schwierigkeit bestand nun darin, die Zunge davon abzuhalten, ständig besagte Stelle zu untersuchen. Das war leichter gesagt als getan.
    «Schön zu sehen, dass es Ihnen bessergeht.» Polizeihauptmann Andresen hatte in der Vorhalle auf ihn gewartet. Sören verlor nicht viele Worte. Er würde heute noch genug sprechen müssen, was ihm immer noch schwerfiel. Außerdem war er noch nicht bei der Sache. Tildas Wunsch, die Stadt zu verlassen, ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. In Gedanken spielte er alle möglichen Szenarien durch, ohne einen Entschluss fassen zu können. Während sie gemeinsam die Treppe zum Senatsgehege emporschritten,

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