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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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gibt es dabei keine Auffälligkeiten, ich werde mich aber dennoch darauf konzentrieren und die Schuldner einzeln unter die Lupe nehmen. Übrigens wäre es sinnvoller, wenn du auf meiner Seite sitzen würdest», sagte Sören, als ihnen auf der Chaussee ein entgegenkommender Wagen sehr nah kam. Nur eine Handbreit war Platz, schätzte Sören den Abstand. Er war es nicht gewohnt, in einem Automobil zu sitzen. Mit dem Zweirad war immer genügend Platz zum Ausweichen.
    «Passt schon», entgegnete Martin lässig. «Mal sehen, was Adolf dazu sagt.»
    «Du meinst deinen Eindecker?» Martin verstand das Wortspiel nicht. Er nickte nur.
    «Willst du damit andeuten, du möchtest gerne einmal selber fahren?»
    «Nein. Was ich damit sagen wollte, war, es wäre sinnvoller, wenn die Lenkung auf der linken Seite wäre. Dann hat man den entgegenkommenden Verkehr besser im Blick.»
    «Und muss Bremse und Schaltung mit der linken Hand bedienen? Kann ich mir nicht vorstellen …» Martin kreiselte gekonnt um den Innocentia-Park und bog von der Oberstraße nach rechts in die Hoheluft Chaussee ein. Als sie die Lokstedter Chaussee erreicht hatten, meinte er Sören zeigen zu müssen, was der Wagen hergab. Er beschleunigte in Richtung Hester, und Sören wehte trotz der hohen Scheibe der Wind um die Ohren. Sein Blick suchte den Geschwindigkeitsmesser. Die Nadel stand bereits auf 60. Ihn schauderte.
    «Es geht noch mehr!», rief Martin, aber dann stand ein Fuhrwerk quer zur Straße, und er musste bremsen. Der ganze Wagen vibrierte.
    Insgeheim war Sören froh, dass die Schussfahrt ein Ende hatte. Auf der anderen Seite wusste er, dass seine Gray Fellow noch wesentlich schneller fahren konnte, aber da hatte er das Steuer selbst in der Hand, und das machte wohl den Unterschied aus. Obwohl er Martin traute, hatte er doch gespürt, wie schwierig es war, ein schweres Automobil aus einer solchen Geschwindigkeit abzubremsen. Das Zweirad wog nur einen Bruchteil von diesem luxuriösen Gefährt und war dementsprechend schnell zum Stehen zu kriegen.
    Plötzlich kam ihm eine Idee. «Sag mal, kann ich mir den Wagen für morgen ausleihen?»
    «Bist du auf den Geschmack gekommen?», fragte Martin stolz.
    Sören hatte die Hamburger Randgebiete vor Augen. Was er hier im Nordwesten sah, war wenig einladend. «Ich habe Tilda versprochen, mit ihr morgen nach Duvenstedt zu fahren. Auf dem Zweirad geht es zwar schneller, aber es ist längst nicht so komfortabel.»
    Er drehte sich um und betrachtete die bequemen Rücksitze. «Außerdem könnten wir unsere zukünftige Schwiegertochter mitnehmen. Sie ist der eigentliche Anlass der Fahrt. Habe ich dir von Liane erzählt? Sie ist übrigens auch eine Pionierin der Lüfte, wenn auch unter einem Ballon schwebend. Du musst sie sehen … Sie hat einen Körperbau wie ein Kerl.»
    «Mach mir keinen Appetit», antwortete Martin mit einem selbstgefälligen Grinsen.
    Sören musste lachen. «Sie überragt dich um Haupteslänge. Und morgen werde ich nackt mit ihr tanzen.»
     
    Das Fluggelände war zwischen Borsteler Jäger und den alten Schießständen gelegen. Es entpuppte sich als riesige Wiese, an deren Rand ein paar Baracken, ein flacher Pavillon und mehrere kleine Hangars standen, die den empfindlichen Flugapparaten als Wetterschutz dienten. Auf dem Vorfeld zur eigentlichen Start- und Landebahn, die mit rot-weißen Holzbaken markiert war, hatte sich eine illustre Menschenmenge eingefunden. Martin parkte den Wagen auf einer extra dafür gekennzeichneten Fläche, auf der noch drei weitere Automobile und mehrere Zweiräder abgestellt waren, und war überrascht, als er für die Bewachung zwanzig Pfennig bezahlen sollte.
    Unter einem großen Schirm waren ein provisorischer Ausschank und ein rustikales Buffet aufgebaut. Es gab Bier, Kaffee, Wasser und Oxtailsuppe. Trotz der Volksfeststimmung waren die dazugehörigen Stühle alle noch unbesetzt, und die Aufmerksamkeit der Besucher galt allein den beiden Fluggeräten, die auf dem Vorfeld standen. Besonders der Doppeldecker mit seiner imposanten Höhe und der filigranen Verstrebung hatte es dem Publikum angetan.
    Diplomingenieur Thelen startete als Erster. Nachdem zwei Hilfskräfte den Motor durch kräftiges Drehen am Propeller angelassen hatten und sich das Gefährt langsam in Bewegung setzte, ging ein Raunen durch die Menge. Mit Schrittgeschwindigkeit rollte der Doppeldecker, der in sich zu schwanken schien, vom Vorfeld zur Startbahn, dort verharrte Thelen einen Augenblick, rückte

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