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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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seine Brille zurecht, winkte dem Publikum zu und brachte schließlich den Motor zu höherer Drehzahl. Das Fluggerät wurde immer schneller, so schnell, dass auch ein Sprinter nicht mehr hätte folgen können. Nach etwas mehr als zweihundert Metern hob die Konstruktion wie von Geisterhand geführt vom Erdboden ab und gewann in schlingernden Bewegungen an Höhe, was von den Umherstehenden mit lautem Applaus quittiert wurde.
    Der Flugführer bekam davon wahrscheinlich gar nichts mit, da der Motor zu laut und inzwischen auch die Entfernung zu groß war. Nach etwa einer Minute konnte man erkennen, wie er eine Kurve flog und langsam zum Fluggelände zurückkehrte, über dem er mehrere Kreise zog, erst in einer Höhe von vielleicht fünfzig Metern, dann etwas tiefer. Schließlich brauste er gewagt niedrig über die Menschenmenge hinweg, die automatisch die Köpfe einzog und in frenetischen Jubel ausbrach. Noch eine gute Minute blieb der Doppeldecker in der Luft, dann steuerte Thelen ihn in langsamem Sinkflug hinab, als wenn er die Balance halten müsse. Schließlich berührten die Räder die Grasnabe, und das Heck senkte sich so weit ab, dass er rollend zum Ausgangspunkt zurückkehren konnte.
    Nun war Adolf Behrend an der Reihe. Er startete seinen Motor selbst, und nachdem er im Fluggerät Platz genommen hatte, bemerkte Sören, wie Martin nervös von einem Bein auf das andere wechselte. Der Motor des Eindeckers war deutlich lauter. So laut, dass sich einige demonstrativ die Ohren zuhielten. Auch Behrend winkte der Menge zu, vielleicht galt sein Gruß in Wirklichkeit auch nur Martin, auf dessen Gesicht sich inzwischen deutliche Sorgenfalten abzeichneten.
    Behrend rollte in einer leichten Kurve direkt auf die Startpiste und gab unvermittelt Gas, sodass sich Heck und Räder fast gleichzeitig vom Boden erhoben. Dennoch dauerte es bei ihm etwas länger, bis er an Höhe gewann. Die Silhouette seines Flugapparates war in der Entfernung weniger gut auszumachen, und nur am Motorenlärm merkte man, dass er ebenfalls nach etwa einer Minute gewendet hatte und zum Flugplatz zurückkehrte. Er flog in deutlich geringerer Höhe als sein Vorgänger, und Sören war nicht ganz klar, ob das Wackeln der Tragflächen beabsichtigt war oder die Folge ungünstiger Luftströmung. Oder deutete es vielleicht sogar auf einen Defekt hin? Ganz deutlich kippte der Flugapparat von links nach rechts und wieder zurück nach links, bis er schließlich in dieser scheinbar instabilen Lage über ihre Köpfe hinwegsauste.
    «Oh Gott, oh Gott, ich mag gar nicht hinsehen», schauderte es Martin. Sören hielt den angeleckten Zeigefinger in die Luft, um seemännisch zu prüfen, ob gegebenenfalls zu viel Wind aufgekommen war, da erkannte er, wie ihnen Behrend von seinem Sitz zuwinkte. Als wolle er einen Wellenritt demonstrieren, bewegte das Fluggerät seine Nase erst auf, dann ab, bevor Behrend es wieder in eine stabile Lage brachte. Dieses Spiel setzte sich fort, und nachdem die Zuschauer begriffen hatten, dass keine Gefahr drohte, winkten sie ihm mit ihren Schirmen und Taschentüchern zu. Er drehte nun Runde um Runde, wobei er in immer gewagtere Höhen vorstieß, bis er zuletzt auf den von oben wahrscheinlich winzig wirkenden Pulk von jubelnden Menschen zusteuerte, um erst im letzten Moment mit einer scharfen Rechtskurve abzudrehen. Es schien, als würden die Spitzen seiner Tragflächen den Boden berühren. Als er das Spiel wiederholte, bekam er noch mehr Beifall. Der Wagemut schien ihn in immer akrobatischere Runden zu treiben, und als Adolf Behrend endlich wieder am Boden war, hielt Martin die Augen immer noch geschlossen. «Wenn ich das gewusst hätte, hätte ich ihm nie ein solches Mordsinstrument als Spielzeug finanziert.»
    «Er scheint es zu beherrschen», erwiderte Sören, und seine Stimme sollte beruhigend klingen. Aber auch er war angesichts des Spektakels zu aufgewühlt, um Martin die Angst nehmen zu können.
    Nachdem die Fluggeräte abgestellt waren, kam Behrend zu ihnen an den Tisch. Ebenso wie Thelen wurde er von einer Traube von Leuten umlagert, die sich eine der Eintrittskarten von ihm signieren lassen wollten. Adolf Behrend hatte dazu auch extra Photographien mitgebracht, auf denen er vor seinem Fluggerät posierte. Innerhalb kürzester Zeit waren sie verteilt, und langsam ebbte das Interesse an seiner Person ab. Nun konnte er sich zu ihnen setzen und ein kühles Bier trinken. Sören musterte Behrend, nachdem er selbst von Martin vorgestellt worden

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