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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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man erkennen, dass sie inzwischen nicht mehr allein waren. Sie schwammen eine Runde in dem See, der die Größe eines Fußballfelds haben mochte, dann kehrten sie zu ihren Sachen zurück. Liane zeigte ihnen ihre Lieblingsstelle, einen plateauförmigen Findling, der neben einer alten Weide halb ins Wasser ragte und auf dem sie alle drei ausreichend Platz hatten, um ihre Decken auszubreiten.
    Liane hatte zwei Flaschen Apfelmost dabei, der von Rosas Obsthof stammte, und Sören musste an David denken und was er doch für ein Glück hatte mit dieser unkonventionellen Frau. So wie er selbst auch. Ihm kam die erste Zeit mit Tilda in den Sinn. Er begehrte sie immer noch wie am ersten Tag. Als sie jetzt Anstalten machte, sich an ihn zu schmiegen, setzte er sich auf. Auch wenn sie hier fast unbeobachtet waren und Liane schon fast so etwas wie ein Familienmitglied darstellte, war es ihm unangenehm.
    Er wusste wieder nicht, wohin mit seinen Blicken. Zu beiden Seiten Frauen, die ihre nackten Brüste der Sonne entgegenreckten, auf der einen Tilda mit ihrem immer noch knabenhaften Körper, blass und unschuldig wirkend, wobei er doch reif und erfahren war, aber dem wahren Alter um mindestens ein Jahrzehnt zurück, auf der anderen Seite, ebenfalls nur eine Handbreit entfernt, seine zukünftige Schwiegertochter, die er zwar mit anderen Augen sah, die aber nicht allein aufgrund ihrer jugendlichen Jahre mehr als reizvoll wirkte. Besonders ihre Nacktheit schien ihm befremdlich, wenn nicht unangenehm.
    Lianes Haut hatte den Farbton bronzener Röte. Kein Wunder, ließ sie doch Woche um Woche mehr Sonnenlicht auf alle Partien ihres Körpers fallen, als allgemein als schicklich galt. Ihre dunklen Haare verschatteten die junge Haut noch mehr, selbst an den Beinen, die Mathilda stets zu rasieren pflegte. Auffallend waren ihre langen Füße, die aber zu ihrer allgemeinen Größe passten. Sie hatte die Augen geschlossen und schien zu schlafen. Der Schatten ihrer geknickten Nase endete an einem winzigen Leberfleck auf der Wange, ihre Schultern wirkten knochig und sehnig, genau wie ihre Hüftknochen markant hervorstanden. Die winzigen Brustwarzen hatten sich angesichts der kühlen Nässe im wärmenden Sonnenlicht zu dunklen Kapseln enormer Höhe aufgerichtet. Im Grübchen ihres Nabels schwamm eine kleine Wasserpfütze. Sören blickte zu Tilda, die ebenfalls auf dem Rücken lag und die Augen geschlossen hatte. Bevor es zu spät war, rutschte Sören über die Kante des Plateaus ins kühle Wasser.
    Er schwamm zur Mitte des Sees, erleichtert, der offensichtlichen Erregtheit und seinen Phantasien entkommen zu sein. Von hier aus konnte man gut erkennen, wie sich die Plätze am Ufer zusehends füllten, und seine Augen gewöhnten sich langsam an das, was ihn umgab: Menschen ohne Kleidung, alte wie junge, dicke und dünne, dunkelhäutige wie blasse, Männer wie Frauen in gleicher Zahl. Sören schwamm so weit ans Ufer, bis er stehen konnte, und beobachtete von hier aus das Treiben auf dem Gelände. Einige hatten sich in Gruppen zusammengefunden, saßen beieinander oder spielten Ball. Die meisten jedoch saßen oder lagen auf Decken oder Matten und sonnten sich einfach. Auf einem Platz nahe dem Steg hatte man eine Schnur gespannt, und einige Männer und Frauen versuchten sich im Federballspiel, was komisch aussah, da Brüste und Glieder bei jedem Schlag oder Sprung gleichermaßen auf und nieder hüpften. Die Sonne hatte inzwischen ihren Zenit erreicht, und es gab nur noch wenige schattige Plätze.
    Plötzlich spürte er, wie er von hinten umklammert wurde. Es war Tilda, die sich ihm lautlos genähert hatte. Für einen Moment verlor er das Gleichgewicht, wankte, und gemeinsam tauchten ihre Körper unter, bis er sich aus Tildas Griff befreit hatte. Sie strahlte ihn an und schwamm hinter ihm her, bis auch sie festen Stand hatte und einen neuen Angriff wagte.
    Tildas nackter Körper machte ihm hier in der Öffentlichkeit immer noch zu schaffen. Vor allem jetzt, wo sie sich spielerisch und zärtlich zugleich an ihn schmiegte. «Lass uns zusammen das Gelände erkunden», sagte sie und drängte ihn in Richtung Ufer, wo zwei junge Männer versuchten, mit dem Kopf unter Wasser einen Handstand zu machen, was bizarr aussah, ihrem Gelächter nach aber einen Heidenspaß machen musste. Die beiden nahmen ihre Umgebung kaum zur Kenntnis.
    «Ich komme mir schon komisch vor», meinte Sören, als sie aus dem Wasser kamen.
    «Ich weiß nicht, was du hast», erwiderte Tilda.

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