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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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«Ich mag es, so ohne Kleider herumzulaufen.» Sie reichte ihm ihre Hand. «Niemand nimmt Anstoß daran, niemand starrt einen an.»
    «Weil ich bei dir bin.»
    «Nein. Weil alle nackt sind.»
    «Ich frage mich einfach, was das soll. Meine Nacktheit anderen zur Schau zu stellen ist mir kein wirkliches Bedürfnis. Natürlich hat es etwas Befreiendes, nackt zu schwimmen, nackt herumzulaufen, aber warum hier vor anderen Menschen?» Er bezweifelte außerdem, dass die Anwesenden keinerlei Interesse an den nackten Körpern hatten, von denen sie umgeben waren. Der Großteil von ihnen wirkte zwar entspannt und gaffte einen nicht an, aber ob hinter der Fassade eines ungezwungenen Gesichtsausdrucks nicht doch etwas anderes schlummerte, konnte man nie wissen.
    Mathilda lachte. «Wo willst du es sonst tun? Auf der Mönckebergstraße? Im Theater? Auch wenn es vielleicht schönere Orte gibt, die abgelegen und einsam sind, wo man allein ist … Hier erregt man zumindest kein Aufsehen und kann sich sicher fühlen.»
    «Als wir früher an der Bille oder an anderen Stellen gebadet haben, hast du anders darüber gedacht.»
    «Das mag schon sein, aber in Wirklichkeit hatte ich nur Angst, man könnte uns entdecken. Und genau das ist es, was ich hier als beruhigend empfinde. Deshalb macht es mir Spaß.»
    Sie kreuzten eine Art Versammlungsplatz, der unter einer Reihe schmaler Holzhütten lag, die bewohnt zu sein schienen. Mitten auf dem Platz war eine große Feuerstelle, und mehrere Leute waren damit beschäftigt, unter einem langen Eisenrost ein Feuer zu entfachen. Liane hatte davon erzählt, es sei üblich, sich am frühen Nachmittag gemeinsam am Feuer zusammenzusetzen und die mitgebrachten Dinge zu rösten, und Sören hatte sich schon auf ein herzhaftes Steak gefreut; aber sie hatte erklärt, fast alle Vereinsmitglieder seien Vegetarier, viele rührten nicht einmal Milchprodukte an. Sie selbst würde zwar gerne Fleisch essen, könne es sich aber nicht täglich leisten, von daher habe sie sich hier an gegrilltes Gemüse gewöhnt. Sie einigten sich schließlich auf Kartoffeln, und Mathilda hatte dazu einen Dip zubereitet, in dem die gerösteten Speckstückchen gar nicht auffallen sollten. Aber noch war es nicht so weit.
    Auf dem Landweg gingen sie zurück zu ihrer Stelle, passierten mehrere versteckt liegende Uferplätze, die nun allesamt besetzt waren, krabbelten über umgestürzte Bäume, deren Geäst in den See ragte, wurden von einer Gruppe Läuferinnen überholt, die freundlich grüßten, und je mehr fröhlichen Menschen sie begegneten, desto mehr fing Sören der Blödsinn, nackt herumzulaufen, an, Spaß zu machen. Tatsächlich wirkte es befreiend, keine Kleidung zu tragen, auch wenn ihm der Kult, der darum gemacht wurde, und das ganze Brimborium nach wie vor fragwürdig erschienen. Aber er hatte sich fest vorgenommen, ohne Vorurteile in den Tag zu blicken, und so behielt er die Überlegungen für sich.
    Liane Kronau hatte anscheinend nur Entspannung und Sonnenbaden im Sinn. Sie lag immer noch an derselben Stelle, und auch der Umstand, dass sich ein junger Mann ganz in ihrer Nähe niedergelassen hatte, schien sie überhaupt nicht zu stören. Als sie auf ihren Decken Platz nahmen, packte der Kerl allerdings seine Sachen und zog von dannen. Kurz danach tönte eine Art Signalhorn über den See. Liane zeigte auf das gegenüberliegende Ufer, wo sich etwas im Gebüsch zu bewegen schien. «Ein ungebetener Gast», meinte sie lapidar und lachte. «So etwas erleben wir hier fast jedes Mal. Sie sind harmlos. Wahrscheinlich junge Bauern aus der Umgebung, die gucken wollen, was wir hier so treiben.»
    Eine Art Floß wurde zu Wasser gelassen, und gerade so, als wäre es eine Aufführung, stakten zwei Männer in die Richtung, wo die vermeintlichen Spanner ausgemacht worden waren.
    «Das ist Anton.» Liane zeigte amüsiert auf einen der Flößer, der, ein Bärenfell um die Hüften geschlungen, drohend eine martialische Axt schwang. «Ist das nicht lustig?»
    Sören erkannte einen der Burschen wieder, die am Ufer Handstände zelebriert hatten. Tilda war aufgestanden und beobachtete das Treiben interessiert, aber die Störenfriede schienen längst die Flucht angetreten zu haben. Das Floß drehte auf Höhe Seemitte ab, die beiden entledigten sich ihrer Kostüme und sprangen vergnügt ins Wasser.
    Liane nahm ein Handtuch und machte Anstalten zu gehen. «Zeit für etwas Bewegung, sonst schmore ich hier noch an. Ich mache mich auf zur Gymnastik. Habt ihr

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