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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Schlange aufrücken musste. Nachdem sich die Männer verabschiedet hatten, klappte die Frau den kleinen Sonnenschirm zusammen. Der Hut, den sie trug, war einer der prächtigsten weit und breit. Als sie sich Goldmann zuwandte, konnte Sören ihr Gesicht erkennen. Ihm stockte der Atem. Sofort drehte er sich um, um nicht erkannt zu werden. Dann suchte er das Gelände nach Andresen ab, aber er konnte ihn nirgends entdecken. Er durfte sie nicht aus den Augen verlieren.
    Während er die beiden heimlich beobachtete, überlegte Sören, was sie verbinden konnte. Vom Alter her hätte sie Goldmanns Mutter sein können. Was auch immer das zu bedeuten hatte, es konnte kein Zufall sein, dass die geheimnisvolle Gräfin immer dann auftauchte, wenn er es am allerwenigsten erwartete. Und diesmal musste er ihre wirkliche Identität erfahren. Wo blieb Andresen nur?

[zur Inhaltsübersicht]
    Kapitel 11
    S ören hatte kaum geschlafen. Und die wenigen Stunden, die es dann doch gewesen sein mochten, hatte er von Gräfin Olga geträumt – Gräfin Rischtschestova. Also tatsächlich eine echte Gräfin. Eine russische. Goldmann hatte sie Andresen so vorgestellt, auch wenn es Sören immer noch nicht glauben wollte. Was trieb eine russische Gräfin in die mieseste Kiez-Spelunke? Eine Verwechselung aber war ausgeschlossen. Sie war es gewesen. Er ließ sich den Namen auf der Zunge zergehen: Olga Rischtschestova.
    Als Andresen sich zu ihnen gestellt hatte, hatte er sich selbst im Verborgenen gehalten. Sören erinnerte sich an den Blick, den sie ihm in Duvenstedt zugeworfen hatte. Ein Blick, der Menschen für sich einnehmen konnte. Auch Andresen war ihrer Aura sofort verfallen. Was für eine betörende Schönheit, hatte er gesagt. Kein Wunder, dass der junge Goldmann in sie vernarrt sei. Die ganze Rückfahrt über hatte Andresen von ihr geschwärmt. Über seinen Wettgewinn hatte er kein Wort verloren. Sörens Vermutung, sie sei eine Prostituierte, hatte Andresen kategorisch ausgeschlossen. Gräfin Rischtschestova logiere seit mehreren Wochen in einer Suite im neuen Grandhotel an der Alster, hatte er erklärt. Das sei nun wirklich keine Absteige für leichte Mädchen – und auch nicht für die Luxusausgabe einer Hure. Sie sei auf dem Weg nach Amerika und warte noch auf eine Depesche mit wichtigen persönlichen Dokumenten aus ihrer Heimat.
    Für Sören blieb ihr erneutes Auftauchen dennoch ein Zufall zu viel. Er stellte die Twin im Hof des Stadthauses ab. Zu der Müdigkeit hatte sich ein unangenehmer Druck in der Magengegend gesellt, nachdem sich das Tor hinter ihm geschlossen hatte. Er mochte diesen Ort nicht. Neben Polizeidirection und Criminalpolizei residierte hier auch die politische Polizei, und Sören wusste von einigen Mandanten, was in den verwinkelten Katakomben geschah, auch wenn es nicht die Regel darstellte. Bei Verhören von festgenommenen Kommunisten und Sozialdemokraten kam es immer wieder zu körperlichen Übergriffen. Die Befragung von Gottfried Börner wollte er sich dennoch nicht entgehen lassen.
    «Wir haben ihn seit heute früh um neun hier.» Heinrich Andresen empfing Sören auf dem Flur vor den Vernehmungsräumen mit einem Becher Kaffee in der Hand. «Er wird langsam weich. Nicht mehr lange, dann singt er.»
    «Was sagt er denn?»
    «Bislang bestätigt er nur, dass er sich vom Bankhaus Goldmann Geld geliehen hat, das er zum Kauf von Immobilien benötigte. Der Erwerb der Grundstücke soll über einen Makler mit Namen Bernelt abgewickelt worden sein. Wir prüfen das gerade.»
    «Sonst nichts?» Der Name Bernelt war Sören geläufig. Bernelt stammte aus Altona. Das hatte er den Unterlagen der Kommission entnehmen können, die Senator Holthusen ihm hatte zukommen lassen. Fräulein Paulina hatte sie ihm heute Morgen ausgehändigt, als er kurz in der Kanzlei vorbeigeschaut hatte.
    «Das wird schon noch … Wollen Sie auch einen?» Er deutete auf den Kaffee.
    Sören nickte. «Einen für mich, einen für Börner. Kann ich mit ihm reden?»
    «Glauben Sie, er erzählt Ihnen mehr als uns?»
    «Ich bin kein Polizist.»
    «Wenn Sie meinen …» Er öffnete die Tür zum Vernehmungsraum. Außer Gottfried Börner, der am Ende eines großen Tisches saß und sein Gesicht in den Händen vergraben hatte, waren noch zwei Civile im Zimmer, schnauzbärtig und grimmig dreinblickend. Andresen stellte Sören kurz vor. «Dr. Bischop …» Dann verließ er den Raum. Wahrscheinlich, um Kaffee zu holen. Die beiden Polizisten nickten ihm mit knapper

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