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Totenwall

Titel: Totenwall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Boris Meyn
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Künkel erkundigt, allerdings nur ein Schulterzucken als Antwort erhalten.»
    Das nächste Rennen wurde angekündigt, der Preis von Bernsdorf über eine Distanz von 2400 Metern. Aus der Ferne konnten sie beobachten, wie sich inzwischen die ersten Schlangen vor den Auszahlungscassen bildeten. Es waren vier kleine Häuschen, die man aus filigranen Eisenstreben wie Fachwerkbauten errichtet hatte. Plötzlich geriet die Menschenmenge in Bewegung und strömte Richtung Totalisator. Die Sperrgatter zur Rennbahn waren geöffnet worden, und ein offener Zweispänner rollte vor, der sogleich von einem Pulk Uniformierter eingekreist wurde.
    «Die Kaiserin», kommentierte Andresen. «Und ihr kleines Gefolge.» Ein Tross von mehreren Kutschwagen war auf das Gelände gekommen. Die Uniformträger hielten die Menge auf Abstand. In der näheren Umgebung sah man nur noch Fracks und Zylinder sowie Paradeuniformen. Sören glaubte, unter ihnen Heibu erkannt zu haben. Der Sprecher der Rennbahn hieß die Kaiserin im Namen des Hamburger Renn-Clubs sowie des Hamburger Senats willkommen, und aus dem Musikpavillon drangen abgehackte Fetzen eines militärischen Marschs zu ihnen herüber. Danach löste sich der Auflauf auf, und aus der Flüstertüte tönten wieder die üblichen Ankündigungen der Starter für das nun kommende Rennen.
    Wenn man nicht gewettet oder keinen persönlichen Bezug zu den gestarteten Pferden hatte, wirkte jedes Rennen gleich, wie Sören ernüchtert feststellte. Auch der Ablauf unterschied sich nicht. Das Prozedere des Starts wurde so kurz wie möglich gehalten, wohl um ein Scheuen der nervösen Tiere zu verhindern, die nach dem Startsignal förmlich zu explodieren schienen. Aus dem Stand schossen sie alle gemeinsam auf die Bahn, und es dauerte ein paar Sekunden, dann hatte sich aus der Reihe ein Knäuel herausgebildet, das sich erst hinter der ersten Kurve langsam auflöste. An der Spitze gab es oft erbitterte Kämpfe um die Führungsposition, aber in der Regel nicht zwischen den Favoriten. Der weitere Verlauf des Rennens entschied sich meist nach der halben Distanz, weshalb jeder Zuschauer ein Opernglas oder einen Krimstecher bei sich trug. Auf der letzten Geraden zogen die favorisierten Pferde dann aus der zweiten Reihe an den bisherigen Spitzenreitern vorbei, drängelten sich dicht an dicht in die letzte Kurve, und erst jetzt entschieden Durchhaltevermögen, Sprintqualität und wahrscheinlich auch Nervenstärke über Zieleinlauf und Platzierung. Abweichungen von dieser Regel schien es kaum zu geben, wie Sören emotionslos beobachtete. Und so schien der Ausgang der Rennen eigentlich auch vorhersehbar zu sein. Er ertappte sich kurz bei dem Gedanken, ob er sich auch zu einer Wette hinreißen lassen sollte, nahm dann aber schnell Abstand von der Idee. Genau dieser Trugschluss war es ja, der einen Spieler stets aufs neue verführte.
    Endlich schien Andresen jemanden gefunden zu haben, der Künkel kannte. Das Gesicht des Mannes erhellte sich kurz, dann deutete er in Richtung Tribüne. Andresen steckte ihm etwas zu, dann kam er zu Sören ans Gatter. «Ich erhielt die Auskunft, dass Adolf Künkel, wenn er denn hier ist, sich am Totalisator herumtreibt.»
    «Wenn wir nur wüssten, wie er aussieht», sagte Sören und zeigte auf die Menschenmenge vor ihnen. «In dem Gewühl erscheint es mir aussichtslos, dass wir ihn finden. Haben Sie gewettet?»
    «Spesen.» Andresen zwinkerte ihm zu. «Oder ich bin nach dem nächsten Rennen ein reicher Mann. Ich habe auf Platz gewettet. Natürlich mit einem Außenseiter. Die Quoten sind nicht gerade verführerisch, wenn man auf Nummer sicher geht, und auf eine Dreier-Wette mit Mindestauszahlung wollte er sich nicht einlassen. So kam das Gespräch auf Künkel. Ich sagte, ich hätte gehört, Künkel würde solche Wetten anbieten, und er hat das bestätigt. Scheint eine große Nummer zu sein – der Kerl meinte aber, dass Künkel keine kurzfristigen Geschäfte mache. Deswegen treibt er sich wohl auch nicht auf dem Sattelplatz rum.»
    Als Nächstes folgten die Lokstedt-Revivals, die daran erinnerten, dass der Ursprung des Hamburger Galopp-Rennsports seine Wurzeln in Lokstedt hatte, lange bevor das hiesige Gelände am Horner Moor angelegt worden war. Besonders die dortigen Jagdrennen waren berüchtigt. Es war über Distanzen von bis zu 5600 Metern gegangen. Das längste heutige Rennen war das Große Hamburger Handicap über eine Länge von 3800 Metern. Aber der Höhepunkt des Renntages sollte

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